Ein bedeutungsschwangeres Kärtchen

  14.06.2024 Region

KANTON Der Grosse Rat hat entschieden: Asylsuchende sollen künftig kein Bargeld, sondern Bezahlkarten erhalten. Die einen versprechen sich davon einen Schutz gegen Missbrauch staatlicher Hilfsleistungen, die anderen sehen darin eine Entmündigung.

BIANCA HÜSING
Die Bezahlkarte wird nicht nur mit Geld aufgeladen, sondern auch mit sehr viel Bedeutung. Rechtsbürgerliche Politiker glauben, mithilfe dieses Kärtchens illegale Machenschaften unterbinden und Fluchtanreize mindern zu können, während Linke darin ein Instrument der Entmündigung oder sogar «Entrechtung» sehen. So in etwa lauteten die Argumente der beiden Lager in Deutschland, als der Bundestag die Rechtsgrundlage für die Einführung solcher Bezahlkarten verabschiedete.

Zum Schutz der Geflüchteten?
Etwas anders, aber nicht minder emotional verlief letzten Dienstag die Debatte im Grossen Rat des Kantons Bern – zumindest fuhr Mathias Müller (SVP) eine andere argumentative Strategie. Seine Motion zur Einführung einer Bezahlkarte begründete er nicht damit, Geflüchtete von etwas abhalten, sondern sie vor etwas schützen zu wollen. «Wir sind privilegiert, leben in Sicherheit, Wohlstand und Freiheit.» Anderswo müssten Menschen vor Despoten fliehen und davor, dass ihre Rechte mit Füssen getreten werden. Doch selbst in der Schweiz seien Geflüchtete oft nicht sicher. «Menschen, die alles verloren haben, werden gezwungen, das Geld, das sie vom Schweizer Staat bekommen, an ihre Peiniger zu geben.» Indem man ihnen nun statt Bargeld eine Bezahlkarte aushändige, könne man sie davor schützen. «Sie könnten das kaufen, wofür das Geld bestimmt ist: Kleidung, Nahrung und tägliche Güter.» Davon abgesehen würden heutzutage bereits mehr als 70 Prozent des Zahlungsverkehrs in der Schweiz digital abgewickelt. Insofern sei die Einführung der Bezahlkarte auch eine «Anpassung an die moderne Lebensrealität».

«Stigmatisant, infantilisant et excluant»
Diesen Ball nahm die SP-Grossrätin Samantha Dunning nur zu gerne auf: Sie erinnerte die rechtsbürgerlichen Fraktionen daran, dass sie noch am Vortag in Bezug auf die BLS-Ticketautomaten für Bargeld plädiert und damit argumentiert hätten, ohne Bargeld schliesse man Menschen aus (siehe Text rechts). Ferner entspreche die Behauptung, Asylsuchende würden ihre Unterstützung zweckentfremden, nicht der Realität. Die Bezahlkarte sei daher «stigmatisant, infantilisant et excluant». Regula Bühlmann (Grüne) wies zudem auf die Kosten und den Mehraufwand hin, die dieser «Berner Sonderzug» verursachen würde. Andere Kantone und der Bundesrat hätten das Bezahlkartensystem schliesslich abgelehnt. Der Frutiger Martin Egger (GLP), der die Motion mitunterzeichnet hatte, fand hingegen: «Das wäre ein tiptoper Pilotversuch hier im Kanton Bern.»

Die Mehrheit im Kantonsparlament sah das offenbar genauso und nahm die Motion mit 90 zu 59 Stimmen an. Geschlossen dafür votierten SVP, FDP, Mitte und EDU, dagegen Grüne und SP. Die GLP-Fraktion war in dieser Frage gespalten.

Auf die Umsetzung kommts an
Ob die Bezahlkarte all die Erwartungen erfüllen wird, die an sie gerichtet werden – positiv wie negativ – hängt davon ab, wie der Regierungsrat sie umsetzt. In manchen Landkreisen Deutschlands wird die Handlungsfreiheit Asylsuchender mithilfe der Karte tatsächlich sehr eingeschränkt. In anderen Regionen ist sie nichts weiter als eine zusätzliche Bezahlmöglichkeit.


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