FINANZPOLITIK Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat gestern erneut die Leitzinsen angehoben und folgt damit der Politik anderer grosser Notenbanken. Der Schritt hat Folgen – für Sparer und Bauherren, aber auch für die Wirtschaft insgesamt.

MARK POLLMEIER
Alle Welt spricht derzeit von der Inflation, von Leit- und Hypothekarzinsen. Doch wie entsteht Inflation überhaupt? Was hat sie mit den Zinsen zu tun? Und welche Folgen hat der jüngste Schritt der SNB für Sparer und Kreditnehmer?

Was ist der Leitzins?
Streng genommen gibt es mehrere Leitzinsen. Der wichtigste von ihnen gibt vor, zu welchen Konditionen sich Banken über einen längeren Zeitraum Geld von der Zentralbank leihen können. Im Idealfall geben die Banken dieses geliehene Geld über Kredite an Unternehmen oder Privatpersonen weiter.

Das Funktionieren dieses Systems hat deshalb grossen Einfluss auf den Konsum und die Investitionstätigkeit und damit auf die gesamte Volkswirtschaft eines Landes – darum sind die Leitzinsen so bedeutend.

Welche Wirkung hat ein tiefer Leitzins?
Ein tiefer Leitzins bedeutet, vereinfacht ausgedrückt, dass Banken sich günstig Geld von der Zentralbank leihen können. Das Angebot an Geld steigt dadurch. Eine häufige Folge sind sinkende oder ganz wegfallende Sparzinsen – bis hin zu Negativzinsen. Wenn sich aber das Sparen nicht mehr lohnt, wird Konsum angeregt – die Leute geben ihr Geld lieber aus, statt auf dem Konto liegen zu lassen.

Bei einem tiefen Leitzins sinken aber auch die Kreditzinsen, und weil man sich Geld günstiger leihen kann, wird gleichzeitig die Investitionstätigkeit angeregt.

Welche Wirkung hat ein hoher Leitzins?
Ein hoher Leitzins bedeutet umgekehrt, dass es für Banken teurer ist, sich von der Zentralbank frisches Geld zu beschaffen. Das Angebot an Geld sinkt dadurch, und weil die Gesamtmenge an zirkulierendem Geld knapper wird, steigen auch die übrigen Zinsen.

Sparen wird wieder attraktiver, und deshalb schieben die Leute ihren Konsum eher auf und legen Geld zur Seite, statt es auszugeben. Weil dadurch weniger produziert werden muss, wird meist auch weniger investiert, etwa in neue Fabriken oder Gebäude.

Was hat der Leitzins mit der Inflation zu tun?
Die Inflation ist die Teuerungsrate bei den Verbraucherpreisen – und die hängt von der Menge des verfügbaren Geldes ab. Wiederum sehr vereinfacht gesprochen: Ist der Leitzins tief, ist mehr Geld im Umlauf. Jeder einzelne Franken ist dadurch weniger wert. Die Folge: Die Preise steigen, die Inflation nimmt zu.

Erhöht die Zentralbank dagegen den Leitzins, nimmt sie quasi Geld aus dem Markt. Jeder einzelne Franken ist dadurch mehr wert. Die Preise sinken, die Inflation nimmt ab.

Zentralbanken streben normalerweise stabile Preise an, eine leichte Inflation von bis zu zwei Prozent gilt als Normalfall. Weicht die Inflation längere Zeit von dieser angestrebten Entwicklung ab, wird eine Zentralbank in aller Regel intervenieren und den Leitzins verändern.

Warum erhöhen gerade jetzt viele Zentralbanken den Leitzins?
Die letzten Jahre waren geprägt von ausgesprochen tiefen Leitzinsen. Die Zentralbanken pumpten damit viel Geld in den Markt, mit dem Ziel, die Wirtschaft am Laufen zu halten, denn viel Geld = mehr Konsum und mehr Investition. Bei dieser Strategie ging es stets auch um politische Ziele, bei der Europäischen Zentralbank etwa darum, die Eurozone zu stabilisieren.

Dass die Strategie des billigen Geldes auch Gefahren birgt, zum Beispiel eine steigende Inflationsrate, war immer klar. In den letzten Monaten ist dieser Fall eingetreten. Das besondere an der aktuellen Situation ist allerdings, dass die hohe Inflationsrate nicht in erster Linie von einer grossen Nachfrage getrieben wird. Schuld ist derzeit vor allem der Ukrainekrieg und der dadurch bedingte Energiemangel. Die Preise steigen also, weil das Angebot in bestimmten Bereichen knapp ist.

In der Schweiz ist die Situation im Vergleich zu anderen Ländern weniger dramatisch, die Konsumentenpreise stiegen im August 2022 im Vergleich zum August 2021 um 3,5 Prozent. Dennoch entspricht dies der grössten Teuerung seit dem Herbst 1993. Anders in der Eurozone, die im August eine Rekordinflation von über 9 Prozent und damit stark steigende Preise verzeichnete.

Hält diese Situation der hohen Lebenshaltungskosten zu lange an, fordern Arbeitnehmer auf kurz oder lang höhere Löhne – sozusagen als Inflationsausgleich. Das aber kann gefährlich werden. Werden nämlich höhere Löhne gezahlt, müssten die Unternehmen ihre höheren Kosten auf die Preise umlegen, was die Inflation noch weiter befeuern könnte. Eine solche Lohn-Preis-Spirale wollen die Zentralbanken unbedingt verhindern, und das Instrument dazu ist die Anhebung der Leitzinsen.

Was ist das Problem einer Leitzinsanhebung?
Wie oben dargestellt, haben steigende Leitzinsen Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft – tatsächliche, aber auch psychologische. Geschieht der Zinsanstieg zu rasch und zu stark, kann er eine Wirtschaft deshalb regelrecht abwürgen und zu einer Rezession führen. Denn steigende Zinsen dämpfen den Konsum und die Investitionstätigkeit – eine ohnehin schwächelnde Wirtschaft könnte dadurch noch stärker gebremst werden.

Zentralbanken müssen daher immer abwägen, welches Problem gerade drängender ist: die Inflation oder die Gefahr einer Rezession. Weil die Wirtschaft in vielen Ländern derzeit noch brummt, haben sich die grossen Zentralbanken entschieden, die Inflation zu bekämpfen – auch auf die Gefahr hin, dass die Konjunktur sich verlangsamt.

Welche Zinsschritte gab es bisher?
Die US-Zentralbank FED hat den Leitzins in diesem Jahr bereits mehrmals angehoben. Die letzten beiden Schritte waren mit 0,75 Prozent relativ deutlich, aktuell liegt der Zielsatz bei 3,00 bis 3,25 Prozent – zum Jahresbeginn waren es noch 0,0 bis 0,25 Prozent. Die FED versucht damit, die anhaltend hohe Inflation in den USA unter Kontrolle zu bringen. Im August lag die Teuerung bei 8,3 Prozent.

Die Europäische Zentralbank EZB war mit ihrer Leitzinspolitik zunächst überraschend zögerlich – vor allem wohl wegen der hohen Verschuldung in vielen EU-Ländern. Der Hintergrund: Bei steigenden Zinsen könnten manche Staaten Probleme haben, ihre Schulden noch zu tilgen. Mit Verspätung ist die EZB nun aber nachgezogen und hat den Leitzins zuletzt auf 1,25 Prozent angehoben.

Die Schweizerische Nationalbank SNB ist nur formal nicht mit der Eurozone verwoben, de facto wird aber auch ihre Geldpolitik von Massnahmen der Grossbanken und den grossen Wirtschaftsmärkten beeinflusst. Im Juni hatte die SNB den Leitzins bereits um 0,5 Prozentpunkte auf –0,25 Prozent erhöht. Auch hierzulande ging es darum, die Inflation einzudämmen und dem starken Franken etwas entgegenzusetzen. Mit ihrem gestrigen Entscheid liegt der Leitzins nun bei 0,5 Prozent. Das ist immer noch tief, lässt aber ebenfalls eine deutliche Richtung erkennen.

Was sind die Folgen des SNB-Entscheids?
Die Geldpolitik der SNB wirkt sich vor allem auf den Hypothekarmarkt aus. Wie der Online-Vergleichsdienst moneyland. ch kürzlich meldete, haben zweijährige Festhypotheken mittlerweile den höchsten Stand seit mehr als zehn Jahren erreicht. Auch zehnjährige Festhypotheken notierten im Zehnjahresvergleich nahe den Höchstständen.

Bei Geldmarkthypotheken, die sich am Referenzzinssatz Saron orientieren, waren die Auswirkungen bisher überschaubar. Dies könnte sich allerdings ändern, wenn der Saron im positiven Bereich liegt – was nach einem erneuten SNB-Zinsschritt der Fall sein könnte.

Wie sich die Hypothekarzinsen weiter entwickeln, hängt stark von der künftigen Geldpolitik ab. Kommen weitere Zinsschritte nach oben, dürften Hypothekarzinsen weiter steigen. Bekommt die SNB «kalte Füsse», weil sich ein zu starkes Abkühlen der Wirtschaft abzeichnet, wäre vermutlich auch der Anstieg der Hypothekarzinsen gestoppt.

Ein insgesamt steigendes Zinsumfeld dürfte mittelfristig wieder zu Zinsen auf Spargelder führen. Die Höhe dieser Sparzinsen ist allerdings ein trügerischer Wert. Solche Anpassungen geschehen erfahrungsgemäss sehr langsam und auf tieferem Niveau. Und solange die Sparzinsen nicht einmal die Inflation ausgleichen, ist für den Bankkunden noch nicht viel gewonnen.

Weniger stark ist der Einfluss der Leitzinsentwicklung auf den Schweizer Immobilienmarkt, weil hier viele Faktoren eine Rolle spielen. Grundsätzlich würden steigende Zinsen für sinkende Immobilienpreise sorgen – weil es teurer wird, Liegenschaften zu finanzieren und damit die Nachfrage nach Wohneigentum sinkt. Vorerst verharren die Preise für Wohnliegenschaften allerdings auf hohem Niveau.

Die erwünschte Folge aus Sicht der Zentralbanken aber wäre ein Zurückgehen der Inflation. Ob dieses Ziel mit den bisherigen Zinsschritten bereits erreicht wird, bleibt abzuwarten, hängt doch die weitere Preisentwicklung nicht zuletzt vom Verlauf des Ukrainekriegs ab.

Banken, Zinsen, Inflation

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