Attacke und Diplomatie

  17.05.2022 Region, Analyse

Wenn es darum geht, den Wolf einzudämmen, ist der bernische Verein zum Schutz vor Grossraubtieren nicht zimperlich. Zuletzt brachte dessen Präsident sogar Wildwestmethoden ins Spiel und dachte laut über eigenmächtige Abschüsse nach. Bei eingefleischten Wolfsgegnern mag solches Gebaren gut ankommen. Doch bringt es die Debatte weiter?

Am Freitagabend tat Thomas Knutti das, was er regelmässig tut: Er forderte den Tod eines Wolfs. Diesmal ging es um ein Exemplar, das letzte Woche bei Schattenhalb mehrere Schafe getötet hatte. «Sofortiger Abschuss vom Wolf im Haslital» – so war die Medienmitteilung betitelt, die Knutti als Präsident der Vereinigung zum Schutz von Wild- und Nutztieren vor Grossraubtieren im Kanton Bern alsbald verschickte.

Man kann mittlerweile schon von einem Ritual sprechen. Reisst ein Wolf irgendwo im Kanton Nutztiere, folgen kurze Zeit später die Aufrufe der Raubtiergegner, jetzt müsse endlich gehandelt werden. Meist wird die Gelegenheit genutzt, um auch noch auf die zuständigen Behörden und den Herdenschutzbeauftragten einzudreschen, die «sich hinter der Gesetzgebung verstecken» und die Problematik ignorieren würden. Auch der Hinweis, dass der Wolf bald einmal Kinder gefährden könne, fehlt selten.

So weit, so bekannt. Mit der jüngsten Mitteilung geht die Vereinigung zum Schutz von Wildund Nutztieren jedoch über das sonst übliche Mass hinaus. «Sollten das BAFU und das Jagdinspektorat nicht handeln und wie immer die Gesetzgebung als Ausrede hervorheben, stellt sich für uns die Frage, ob man eigentlich sein Eigentum nicht schützen darf vor dem Wolf», so schreibt Thomas Knutti in seiner Mitteilung und gibt die Antwort gleich selbst: «Wenn jegliche zumutbaren Schutzmassnahmen nichts nützen, bleibt einem Nutztierhalter nur noch die einzige Lösung: den Wolf selber zu eliminieren.»

Die juristische Seite
Mit dem Aufruf zur waidmännischen Selbstjustiz spricht Knutti nur aus, was viele Nutztierhalter denken – und was im Wallis schon praktiziert wird. Dort spült die Rhone gelegentlich tote Wölfe an, die freilich nicht ertrunken sind, sondern erschossen wurden.

Doch abgesehen davon, dass solche Wildwestmethoden illegal sind, lösen sie letztlich das Problem nicht. Die Schweiz hat die Berner Konvention unterzeichnet. Ziel dieses Übereinkommens ist es, wildlebende Pflanzen und Tiere sowie ihre natürlichen Lebensräume grenzüberschreitend zu erhalten. Man kann darüber streiten, ob der Wolf dieses Engagement überhaupt braucht. Doch auch, wenn es in manchen Ohren merkwürdig tönt: Stand heute ist die Schweiz völkerrechtlich verpflichtet, Wölfe zu schützen oder jedenfalls nicht nach Gutdünken abzuschiessen.

Schon mehrmals gab es im nationalen Parlament Forderungen nach einer Änderung der Berner Konvention. Sogar deren Kündigung wurde schon verlangt. Der Bundesrat und Teile des Parlaments halten dieses Vorgehen jedoch für juristisch und politisch fragwürdig. Es sei ja gerade der Sinn eines solchen Vertragswerks, dass es international bindend sei, argumentierte der Bundesrat. Sprich: dass nicht jeder die Übereinkunft nach Belieben verändern könne.

Neuere Vorstösse fordern nun, dass der Schutzstatus des Wolfes innerhalb der Berner Konvention gelockert wird. Das Bundesamt für Umwelt arbeitet darauf hin, dass dieses Begehren im ständigen Ausschuss der Berner Konvention traktandiert wird. Ob das geschieht und ob dadurch etwas in Bewegung kommt, ist allerdings unsicher und hängt vor allem von der Haltung der EU-Staaten ab. Insgesamt ist ein solches Verfahren aufwendig und würde einige Zeit in Anspruch nehmen. Rasche Ergebnisse sind nicht zu erwarten.

Doch nicht nur juristische Rahmenbedingungen bestimmen, wie man in der Schweiz mit dem Wolf umgeht. Auch die öffentliche Meinung spielt eine Rolle – und die wird nicht nur von den Nutztierhaltern in den Bergkantonen definiert.

Die öffentliche Meinung
Als der Wolf vor 25 Jahren begann, die Schweiz zurückzuerobern, begrüssten drei Viertel der Bevölkerung seine Rückkehr. Mittlerweile leben etwa 15 Rudel im Land, und mit der Verbreitung der Grossraubtiere hat sich gezeigt, dass damit auch Probleme und Schäden einhergehen.

Aber selbst wenn die allgemeine Zustimmung zur Wolfspräsenz etwas abgekühlt ist, so ist sie doch noch vorhanden. Das zeigte nicht zuletzt die Abstimmung über das revidierte Jagdgesetz im Jahr 2020, das mit 51,9 Prozent der Stimmen abgelehnt wurde. Das Symboltier dieser Vorlage war der Wolf, und offenbar hatte die Bevölkerung so grosse Sympathien für ihn, dass selbst eine leichte Lockerung seines Schutzes nicht mehrheitsfähig war.

Fazit: Der Wolf ist da, und wie sich die Situation heute darstellt, wird er vorerst auch bleiben. Vor diesem Hintergrund sind Aufrufe zum eigenmächtigen «Eliminieren» wirkungslos oder sogar kontraproduktiv. Erstens würde der Abschuss eines einzelnen Wolfs allenfalls kurzfristig Entlastung bringen. Wölfe sind sehr mobil. Erlegt man den einen, kommt irgendwann der nächste. Der Schutzeffekt durch den Abschuss verpufft einfach, weil er auf die nachfolgenden Artgenossen keinerlei erzieherische Wirkung hat. Zweitens tragen solche Aktionen sicher nicht dazu bei, die Sympathien für Nutztierhalter zu vergrössern.

Auf Sympathie oder zumindest auf das Verständnis der übrigen Bevölkerung sind die Schaf- und Ziegenbesitzer aber letztlich angewiesen, wenn es darum geht, auf politischem Wege etwas zu erreichen.

Warten auf die Politik
Und es ist ja nicht so, dass auf diesem Weg nichts versucht würde. Bedenkt man, dass die Schweizer Schaf- und Ziegenhaltung wirtschaftlich völlig unbedeutend ist, kümmert sich die Politik sogar erstaunlich häufig um die Wolfsthematik. Zuletzt hat der Ständerat über seine Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie eine parlamentarische Initiative eingebracht: Wo aufgrund der hohen Wolfsdichte die Landwirtschaft gefährdet ist, soll eine präventive Regulierung der Wolfsbestände möglich sein – bis hin zur «Entfernung» ganzer Rudel.

Der Vorstoss ist sozusagen die legale Variante von Thomas Knuttis Abschussbegehren, und im Parlament und auf Verbandsebene gibt es viel Unterstützung für das Anliegen. Aber wie das so ist mit legalen Vorgängen: Sie brauchen ihre Zeit, und der Wolf wartet nicht, bis die parlamentarische Initiative bearbeitet ist. Es ist deshalb richtig, dass der Bund für diesen Sommer relativ spontan 5,7 Millionen Franken gesprochen hat, um Nutztierbesitzer zu unterstützen.

Doch selbst wenn es 10 Millionen wären, um einen verstärkten Herdenschutz werden die Halter von Schafen und Ziegen nicht herumkommen – schon weil staatliche Entschädigungen an solche «zumutbaren» Massnahmen geknüpft sind. Dass das Aufstellen von Elektrozäunen kostspielig und mühsam ist, dass sich der Schutz in einer Bergregion nicht überall umsetzen lässt, all das ist inzwischen hinlänglich bekannt. Doch es hilft nichts: Nach dem Gesetz sind Halter zum Schutz ihrer Tiere verpflichtet, den Schutz vor Grossraubtieren eingeschlossen.

Die «Arbeitsteilung» der Lobbygruppen
Auch der Verein Alpwirtschaft Bern versandte vor dem Wochenende eine Medienmitteilung. Darin werden Tierhalter zu verstärktem Herdenschutz aufgerufen. Für Informationen verweist die Geschäftsstelle ausdrücklich auf den kantonalen Herdenschutzbeauftragten Peter Berger. Ferner verweist man auf die eigenen politischen Bemühungen auf Verbandsebene, den Wolfsbestand einzudämmen. Im Vergleich mit den Forderungen Thomas Knuttis wirkte die Rundmail fast schon weichgespült. Dabei weiss man auch beim Verein Alpwirtschaft sehr wohl um die Herausforderungen, vor denen Nutztierhalter stehen. Vereinspräsident Ernst Wandfluh ist nicht gerade als Wolfsliebhaber bekannt. Trotzdem bleibt er, anders als sein Grossratskollege Knutti, im Ton gemässigt. Knutti fordert schon mal, man müsse «dä Cheib verrume», wenn ein Wolf Probleme macht. In der Landwirtschaft habe sicher niemand auf den Wolf gewartet, sagt Wandfluh. Das meint letztlich dasselbe – es tönt aber anders. Fast wirkt es so, als hätten sich die beiden Lobbygruppen auf eine Arbeitsteilung geeinigt: hier die laute, polternde Vereinigung zum Schutz vor Grossraubtieren, dort der leise, konstruktive Verein Alpwirtschaft.

Auf den ersten Blick wirkt der zweite Ansatz erfolgversprechender. Doch wer weiss? Um für die Wolfsproblematik eine baldige Lösung zu finden, braucht es womöglich beides: Attacke und Diplomatie.

Informationen rund um den Herdenschutz erhalten Sie unter www.herdenschutzschweiz.ch oder beim kantonalen Herdenschutzberater Peter Berger (Tel. 031 636 83 14 oder per Mail: peter.berger@be.ch).

GRAFIK: BROVARKY / STOCK.ADOBE.COM / POL


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