«Ich befand mich während vier Wochen mit einem Bein im Grab»
01.02.2022 Coronavirus, AdelbodenKonrad Hari wurde im ersten Pandemiejahr vom Virus schwer getroffen. Der frühere Adelbodner Grossrat befand sich fünf Wochen lang auf der Intensivstation – und ist noch heute dankbar, dort wieder lebend herausgekommen zu sein.
JULIAN ZAHND
Vor genau einem Jahr lag Konrad Hari in Unterseen im Spital und rang um sein Leben. Er selbst konnte seine Lage nicht wirklich fassen, da ihm sein Verstand immer wieder ein Schnippchen schlug. «Ich war in dieser Zeit sehr konfus. Manchmal wähnte ich mich im Nachbartal in Lauterbrunnen», erinnert sich Hari. Wie genau er auf diesen und andere wirre Gedanken kam, kann er sich nicht erklären. «Ich kannte diesen Zustand bei mir nicht.»
Konrad Hari ist zum Zeitpunkt seiner Corona-Erkrankung im Dezember 2020 80-jährig. Trotz seines hohen Alters besitzt der ehemalige EVP-Grossrat und langjährige Leiter des Hotels Hari noch immer einen scharfen Verstand. Vorerkrankungen hat er keine. Körperlich fühlt er sich fit, im Winter trifft man ihn regelmässig auf der Skipiste an. Unverwundbar fühlt er sich jedoch nicht: Die Impfung, die zu diesem Zeitpunkt erst seit einigen Tagen möglich ist, erachtet er als sinnvoll und plant auch, sich bald einmal immunisieren zu lassen. Vermutlich hätte ihn die Spritze vor dem bewahrt, was in den nächsten Wochen auf ihn zukommen würde.
«Ich fühlte mich wie ein Bébé»
Im Dezember infiziert sich Konrad Hari mit dem Coronavirus. Zuerst liegt er mit grippeähnlichen Symptomen eine Woche lang zu Hause im Bett. Weil das hohe Fieber nicht nachlässt, sucht er den Dorfarzt auf, an Neujahr folgt die Spitaleinweisung. Zwei Tage später wird Hari auf die Intensivstation verlegt und erfährt dort am eigenen Leib, was Intensivpflege bedeutet.
«Überall standen Apparate, die blinkten, surrten und piepten», erinnert er sich heute. Ständig waren Pflegefachpersonen vor Ort, vermummte Gestalten, deren Gesicht er erst Wochen später zum ersten Mal erblickte, als er nicht mehr ansteckend war.
Vorerst umgaben den Patienten zahlreiche Schläuche, einer führte direkt in seinen Rachen und versorgte die Lunge mit zusätzlichem Sauerstoff. Die sogenannte Intubation dauerte 15 Tage lang, während dieser Zeit konnte Hari kein Wort sprechen, sein Mund war ständig ausgetrocknet. Mitte Januar erhielt er einen Luftröhrenschnitt, während weiterer zwei Wochen erfolgte die Sauerstoffzufuhr direkt durch diese Öffnung. «Das war wesentlich angenehmer.»
Hari wird im Januar 2021 nicht ins künstliche Koma versetzt, erhält jedoch Schlafmittel und zahlreiche andere Medikamente. Sein Körper ist mit der Zeit so schwach, dass er während des Sitzens nicht einmal mehr den Kopf richtig halten kann. «Ich fühlte mich in diesen Tagen wie ein Bébé, brauchte für jede Bewegung Hilfe.»
Der ganze Spitalaufenthalt sei für ihn ein grosser Stress gewesen, sagt Hari, «sterbenskrank fühlte ich mich aber nie». Halt gab ihm unter anderem sein Glaube. Lange Zeit war er zu schwach zum Beten, wusste sich aber trotzdem im Glauben an Jesus getragen, wie er sagt. Seine Ehefrau hingegen verbrachte zu Hause bange Momente, rechnete täglich mit dem Schlimmsten. Wie ernst es um ihn stand, realisierte Hari eigentlich erst später, als ihm eine der Pflegefachpersonen gestand, ihn für kurze Zeit aufgegeben zu haben. Heute weiss er: «Ich befand mich während vier Wochen mit einem Bein im Grab.»
Sauerstoff aus dem Rucksack
Doch Hari erholt sich. Nach 42 Tagen kann er das Spital verlassen und wird mit der Ambulanz ins Rehazentrum Heiligenschwendi gefahren, wo er weitere vier Wochen verbringt, um wieder zu Kräften zu kommen. An selbstständiges Gehen ist zu Beginn noch nicht zu denken. «Nach etwa einer halben Minute ‹wandern› mit Hilfe des Rollators war jeweils Schluss und ich musste mich erschöpft hinsetzen.» Mitte März kann er die Klinik aber verlassen – zusammen mit einem speziellen Rucksack, der ihn mit Sauerstoff versorgt. Ab Mitte 2021 wird dieser durch einen Sauerstoffkoffer ersetzt, der nachts neben seinem Bett steht. Vor dem Schlafen setzt er sich die dazugehörige Sauerstoffbrille auf, damit sein Herz während des Schlafs geschont wird.
Tagsüber hingegen kommt Hari heute ohne diese Hilfe zurecht, über Langzeitfolgen beklagt er sich nicht. Er fährt wieder Ski und wandert. Eine Zeit lang habe er aber schon Mühe gehabt, beim Gehen mit seiner Frau mitzuhalten, erzählt er, während ihn ein leises Lächeln streift.
2000 Franken pro Tag im Spital
Konrad Hari ist vor allem froh, dass er noch immer am Leben ist. Er weiss, wem er das zu verdanken hat und schätzt das hochwertige Gesundheitssystem der Schweiz sehr – das auch seinen Preis hat, wie er nach seinem Spitalaufenthalt erfährt. Allein die Intensivpflege kostete 83 000 Franken, also rund 2000 Franken pro Tag. «Zum Glück habe ich eine gute Krankenversicherung», sagt Hari dazu.
Belehrungen sind dem heute 81-jährigen Adelbodner fremd, mit seiner Geschichte geht er nicht hausieren. Betreffend Impfskepsis hat er aber eine klare Meinung: «Wir sind doch keine Alleswisser und müssen auch mal Experten vertrauen können.» Er zumindest ist überzeugt, dass die Pandemie ohne die Impfung «eine wüste Sache» wäre und hofft, dass diese Ansicht, wenn auch nur tröpfchenweise, langfristig in die Gesellschaft einsickern wird. «Es ist schliesslich nicht verboten, gescheiter zu werden.»