Zwinker, zwinker!
11.10.2022 KulturDie Emojis, jene kleinen Bildzeichen, die heute fast jeder nutzt, sind gerade 40 Jahre alt geworden. Mittlerweile sind die bunten Symbole fester Bestandteil unserer Kommunikation. Sogar Abstimmungen werden heute mit ihnen gewonnen.
MARK POLLMEIER
Kennen Sie Scott Elliot Fahlman? Vermutlich nicht. Aber seine Erfindung kennen Sie sicher: Fahlman war der Erste, der ein sogenanntes Emoticon nutzte, eine Zeichenkombination, mit der sich kurz und prägnant ein Gefühl ausdrücken lässt. Und das kam so:
Im Herbst 1982 war Scott Fahlman angehender Professor für Informatik an der Carnegie Mellon University im US-Bundesstaat Pennsylvania. Er und seine Kollegen arbeiteten dort mit sogenannten «Bulletin Boards», also elektronischen Diskussionsforen, in denen man sich gegenseitig Nachrichten schrieb. Eigentlich dienten diese Bulletin Boards vor allem zum Austausch von fachlichen Infos. Doch natürlich machte ab und zu auch mal jemand einen Witz oder eine nicht ganz ernst gemeinte Bemerkung. Das Problem: Nicht immer waren diese Witze als solche zu erkennen. Vor allem schriftliche Ironie ist bekanntlich nicht leicht zu entschlüsseln, was schnell zu Missverständnissen führen kann.
An einem Sonntag im September 1982 schrieb Scott Fahlman kurz vor dem Mittag eine kurze Mitteilung in ein Diskussionsforum: Ich schlage vor, dass die folgenden Zeichen künftig einen Witz anzeigen :-)
Ihr müsst es seitwärts lesen. Vermutlich ist es sogar effizienter, Dinge, die KEINE Witze sind, zu markieren. Verwendet dazu :-(
Milliardenfach verschickt
Doppelpunkt, Bindestrich, Klammer. Fahlman ahnte damals nicht, welche kommunikative Lawine er mit diesen drei Zeichen lostreten würde. Sein Eintrag war eine Spielerei, ein nicht ganz ernst gemeinter Vorschlag, mit dem er die oft hitzigen Fachdiskussionen ein wenig entschärfen wollte. Doch seine Idee kam an. Im ARPAnet, dem militärischen Vorläufer des Internet, verbreiteten sich die drei Zeichen rasend schnell und waren schon bald gängiger Bestandteil der Kommunikation. Und weil Forschende auch über ihre eigene Universität hinaus miteinander kommunizieren, schafften Smiley und Anti-Smiley rasch den Sprung an andere Hochschulen. Als sich wenige Jahre später das zivile Internet zu etablieren begann, waren bereits eine ganze Reihe weiterer Symbole hinzugekommen, zum Beispiel der Zwinker-Smiley ;-) oder :D für ein breites Grinsen. Gerade internetaffine junge Menschen machten sich einen Spass daraus, immer neue «Gesichtsausdrücke» und Emotionen zu entwickeln und in E-Mails und Chats einzusetzen. Mit :o drückte man etwa aus, überrascht oder gar geschockt zu sein. Einen weiteren kräftigen Schub bekamen die Emoticons im Lauf der 1990er-Jahre mit der zunehmenden Verbreitung der Mobiltelefone. Für SMS, also jene auf 160 Zeichen beschränkten Textnachrichten, waren die Emoticons wie geschaffen. Weil anfangs noch jede SMS Geld kostete, achteten vor allem jüngere Handy-NutzerInnen darauf, sich möglichst kurz zu fassen. Statt lange Erklärungen zu tippen, reichten zum Ausdrücken der jeweiligen Gefühlslage nun drei Zeichen – effizienter ging es kaum.
Die Zeichen werden bunt
Kurz nach der Jahrtausendwende wurden in Europa über 100 Milliarden Kurznachrichten verschickt – pro Jahr. Anhand dieser Zahl lässt sich ermessen, wie verbreitet damals die Emoticons waren. Dank der wachsenden Leistungsfähigkeit kleiner Bildschirme war es nur eine Frage der Zeit, bis die doch eher simplen Zeichenfolgen durch aufwendigere Symbole abgelöst wurden. Doch diesmal fand die Initialzündung in Fernost statt. Schon 1999 hatte der damals 25-jährige Designer Shigetaka Kurita 176 kleine Bildzeichen entwickelt, darunter Herzchen, Sternzeichen und Wetterphänomene wie Sonne und Regen. Genannt wurden sie Emojis, abgeleitet von den japanischen Schriftzeichen für «e» (Bild), «mon» (Ausdruck) und «ji» (Buchstabe). Zunächst standen die Emojis nur Kunden des japanischen Mobilfunkanbieters NTT Docomo zu Verfügung. Doch es dauerte nicht lange, und die beliebten Piktogramme waren in ganz Japan verbreitet. Doch erst einige Jahre danach traten sie ihren endgültigen Siegeszug rund um den Erdball an: 2010 wurden die Emojis in den Unicode aufgenommen, den internationalen Standard für die digitale Codierung.
Selbstverständlich trugen auch die inzwischen erfundenen Smartphones ihren Teil bei. 2007 hatte die Firma Apple das erste iPhone auf den Markt gebracht – mitsamt einer eigenen Tastatur nur für Emojis.
Spätestens seit der Lancierung von WhatsApp im Jahr 2009 sind die kleinen Bildzeichen Teil der Alltagskultur geworden – so sehr, dass kürzlich die Gegner der Massentierhaltungsinitiative Emojis für ihre Abstimmungskampagne nutzten. Die bekannten gelben Symbole sicherten ihren Plakaten und Werbebannern einen hohen Wiedererkennungswert.
Mann mit Babybauch
So wie die Welt immer vielfältiger oder, wie man heute sagt, diverser wird, so haben sich mit der Zeit auch die Emojis vervielfältigt und ausdifferenziert. Im Unicode sind mittlerweile mehr als 3500 von ihnen gelistet. Jedes Jahr kommen weitere hinzu, und nicht selten ist die Auswahl auch ein Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen. So werden Emojis von Gesichtern und Körperteilen seit 2015 in verschiedenen Hautfarben angeboten. Es gibt ein händchenhaltendes Männerpaar, zwei Frauen mit einem Herz über ihren Köpfen und Familien-Emojis, bei denen Eltern aus einem gleichgeschlechtlichen Paar bestehen. Selbst einen offensichtlich schwangeren (!) Mann gibt es – der immerhin einige Kontroversen auslöste, ob man es mit der politischen Korrektheit jetzt nicht doch ein wenig übertreibe.
Ihrer grossen Verbreitung entsprechend werden die Bildzeichen und ihr Einsatz heute auch an Universitäten erforscht – also dort, wo sie einst entstanden. Sich mit der Wirkung von Emojis näher zu beschäftigen, kann durchaus interessant sein. Tragen die kleinen Dinger dazu bei, dass wir immer «sprachloser» werden und zur Sicherheit lieber auf Bildzeichen vertrauen? Steckt hinter dem massenhaften Versenden von Emojis die Sorge, missverstanden oder nicht gemocht zu werden? Oder ist alles ganz harmlos, einfach nur ein Spass? Solchen Fragen gehen Kommunikationswissenschaftler und Sprachforscherinnen nach. Sie haben beispielsweise herausgefunden, dass Jüngere aus der sogenannten Generation Z manche Emojis nicht mehr nutzen. Der Grund: Für die zwischen 1995 und 2010 Geborenen ist das Verwenden von Emojis eher etwas für, nun ja, ältere Leute.
Zurück zu dem Mann, der all das ins Rollen brachte, Professor Scott Elliot Fahlman. Der war mit der Zeit zusehends genervt, dass er nicht als Wissenschaftler, sondern als «Smiley-Erfinder» berühmt wurde. Kürzlich hat Fahlman seine Nachricht von 1982 für 190 000 Dollar versteigert. Für die zehn Minuten Geblödel, die ihn diese drei Zeichen seinerzeit gekostet hätten, sei das ganz okay, fand er.
BILD: ICONS GATE / STOCK.ADOBE.COM