Seit dem 1. August sitzt neben Jakob Schwarz ein zweiter Adelbodner im Grossen Rat: der EVP-Politiker René Müller. Der «Frutigländer» hat ihn einen Tag nach seiner Vereidigung im Parlament besucht.

MARK POLLMEIER
Es ist früher Dienstagnachmittag, über der Berner Altstadt scheint die Sonne. Die Mittagspause ist vorbei, in den Gassen leeren sich die Restauranttische. Auf dem Platz vor dem Rathaus treffen die Mitglieder des Kantonsparlaments ein, gut erkennbar an ihren Zutrittsbadges. Vor einer Tapas-Bar steht Pierre Alain Schnegg und unterhält sich mit einigen Grossrätinnen.

Natürlich, der Parlamentsbetrieb findet drinnen statt, im grossen Saal des Rathauses. Aber auch das hier ist Politik: die Unterredung beim Essen, die Gespräche zwischen Tür und Angel, die «Deals» in der Wandelhalle. Vielleicht sind sie sogar der wichtigere Teil der Politik.

Auch René Müller lehnt noch an der Wand des Rathauses und unterhält sich mit einem Kollegen. Er ist hier einer der Neulinge: Erst gestern wurde der Adelbodner als bernischer Grossrat vereidigt. Müller hatte dabei zwei Möglichkeiten: Eid oder Gelübde. Der Unterschied liegt in der Formulierung. Die Vereidigung endet mit einem «so wahr mir Gott helfe!» – beim Gelübde fehlt dieser Zusatz. «Ich hätte mir beides vorstellen können», sagt René Müller. Aber am Ende hat er den Eid gewählt, mit der Gottesformel am Ende.
Müller ist, wie man so sagt, «nachgerutscht» und ersetzt in der EVP-Fraktion den Spiezer Markus Wenger, der am 31. Juli nach über zehn Jahren aus dem Parlament ausgeschieden ist.

René Müller, waren Sie überrascht, als es plötzlich hiess: Sie werden nun Grossrat?

Nein, das war quasi so geplant. Es hatte sich abgezeichnet, dass Markus Wenger sein Amt abgeben wird. Wir haben in der EVP also überlegt, wie wir die Nachfolge vorbereiten können und die Wahllisten entsprechend gestaltet.

Durch diese Vorbereitung konnten Sie Ihre übrigen Engagements etwas zurückfahren.

Genau, um mehr Zeit zu haben, habe ich zum Beispiel das VR-Präsidium der TALK AG abgegeben. Präsident der Bergbahnen Adelboden will ich gern bleiben, da hat’s mir «de Ärmel inezoge».

Sie haben am Montag auf Facebook ein Foto von ihrer Vereidigung gepostet. Darunter stand, dass Sie als Grosstrat für die EVP, für Adelboden, für das Berner Oberland und den Tourismus gerne ihr Bestes geben werden. Ist das die Reihenfolge Ihrer Prioritäten?

(überlegt kurz) Die Reihenfolge stimmt schon so etwa, aber sie ist sicher nicht sakrosankt. Für mich ist wichtig: Ich vertrete eine Randregion, in der der Tourismus eine wichtige Rolle spielt. Bei diesen Themen will ich mich einbringen.

Gewählt sind Sie ja für den ganzen Kanton …

Ja, natürlich, aber sind wir ehrlich: Innerhalb des Kantons sind wir am Ende doch auch gewählt, um uns für die Interessen unserer Region einzusetzen, in meinem Fall für das Oberland. Und ich persönlich bin eben auch von der EVP gewählt worden. Das bedeutet für mich zum Beispiel, dass auch in der Politik christliche und ethische Werte gelten.

Sie gehören einer Partei an, die das Evangelische im Namen trägt. Während wir uns unterhalten, wird drinnen im Saal über die Kantonsbeiträge gesprochen, die die Landeskirchen «für ihre Leistungen im gesamtgesellschaftlichen Interesse» erhalten sollen. Ist das ein Thema, das Ihnen naheliegt?

Ich bin schon interessiert daran, und ich werde nachher mit meiner Fraktion auch dafür stimmen, dass den Kirchen der Rücken gestärkt wird. (Zur Abstimmung über dieses Geschäft: siehe Bericht auf Seite 3).

Während des Gesprächs ertönt aus dem Ratssaal der Gong. «Jetzt muss ich abstimmen», sagt Müller und strebt zur Eingangstür – um wenige Sekunden später wieder zurückzukommen. «Wird wohl doch noch nicht abgestimmt», sagt er. «Ich bin halt noch neu hier.»

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1400 Seiten Seiten umfasst das Material zur laufenden Herbstsession, 114 Geschäfte will der Grosse Rat in dieser und der kommenden Woche behandeln. René Müller reist zu den Sitzungen jeweils mit dem öV an, aus ökologischen Gründen, wie er sagt, aber auch, weil er so die Fahrzeit nutzen kann.

Herr Müller, wie haben Sie sich auf Ihre erste Grossratssession vorbereitet, haben Sie alle 1400 Seiten gelesen?

Nein, und das macht vermutlich auch sonst niemand. Das wäre auch kaum zu schaffen.

Aber wie muss man sich die Vorbereitung vorstellen? Irgendwann wird ja über die Geschäfte abgestimmt …

Das Material wird zum einen von unserem Fraktionspräsidenten gesichtet. Zum anderen ist die EVP in den verschiedenen Kommissionen vertreten. Die Kommissionsmitglieder bekommen dort also mit, worum es bei einem Geschäft geht und können jeweils eine Empfehlung dazu abgeben. Um sich abzustimmen, gibt es dann die Fraktionssitzungen, in denen die einzelnen Traktanden noch einmal besprochen werden.

Wie war ihr Start als Fraktionsneuling?

Klar, ich muss mich hier noch einfinden. Aber ich bin gut gestartet und wurde von meinen Kolleginnen und Kollegen herzlich aufgenommen. Manche kannte ich ja vorher schon. Mittlerweile habe ich auch mit einigen Ratskollegen aus anderen Fraktionen und mit Regierungsmitgliedern gesprochen.

Das berühmte Networking. Auch während wir hier sitzen, ist um uns herum ein Kommen und Gehen, überall diskutieren Leute.

Ja, auch drinnen im Saal ist das so, da wird ständig geredet. Das war schon ein kleiner Kulturschock. Gestern hat sich die Grossratspräsidentin sogar einmal zu Wort gemeldet und um mehr Ruhe gebeten, weil während der laufenden Debatte so viele miteinander gesprochen haben. Ich selbst muss mir meine Netzwerke natürlich erst noch knüpfen. Bisher bin ich da eher Zuschauer.

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Was seine Gestaltungsmöglichkeiten betrifft, mache er sich keine Illusionen, gibt René Müller freimütig zu: «Vor allem am Anfang werde ich hier keine grossen Stricke verreissen». Mit ihren neun Mitglieder sei die EVP nur eine kleine Fraktion im 160-köpfigen Parlament. Aber immerhin: Weil die EVP eine eigenständige Fraktion bilden kann, ist sie auch in den Kommissionen des Grossen Rats vertreten. «Für die politische Arbeit ist das wichtig», sagt René Müller. Er selbst gehört seit dieser Session der Bau-, Energie-, Verkehrs- und Raumplanungskommission (BaK) an.

Herr Müller, heute, am Dienstag, ist erst ihr zweiter Tag im Rathaus. Wie finden Sie die Debattenkultur bisher?

Im Grossen und Ganzen gut. Natürlich sind manche Diskussionen etwas langfädig, weil jede Fraktion zu jedem Thema etwas sagen möchte. Und manchmal ist es wie in der Gemeindepolitik: Wirklich grosse Geldbeträge werden kurz und schmerzlos abgesegnet – und über irgendeine Nebensächlichkeit wird dann ewig diskutiert.

Wissen Sie schon, wann Sie selbst zum ersten Mal vorn am Rednerpult stehen werden?

Erstaunlicherweise schon heute oder morgen, je nachdem, wie gut der Zeitplan eingehalten wird. Das hat mich selbst überrascht!

Wie kam es dazu?

In dieser Session wird über eine Motion verhandelt, bei der es um die Effizienz und um verlässliche Fristen in der Verwaltung geht. Das Thema kenne ich gut, weil ich als Bergbahnpräsident selbst unmittelbar davon betroffen bin. Eigentlich gäbe es bei uns auch jemanden aus der zuständigen Kommission, der dazu sprechen könnte. Aber meine Fraktion hat entschieden, dass ich das machen sollte. Ich freue mich darauf!

ZUR PERSON

René Müller, Jahrgang 1968, ist eidg. dipl. Hotelier-Restaurateur HF. Zusammen mit seiner Frau Heidi leitet er seit 2000 das Hotel Alpina in Adelboden. Die beiden haben drei Kinder. Seit 2017 ist René Müller VR-Präsident der Bergbahnen Adelboden AG. Von 2021 bis zu diesem Frühjahr war er VR-Präsident der TALK AG, gab dieses Amt aber mit Blick auf sein Grossratsmandat ab.
Politische Vorerfahrung bringt Müller aus seiner Zeit in der Adelbodner Exekutive mit, wo er bis 2017 dem Gemeinderat angehörte. Seit 2018 ist er Gemeindevizepräsident von Adelboden, und seit der letzten Generalversammlung im Mai 2024 ist er Vorstandsmitglied der Volkswirtschaft Berner Oberland.

POL

«Wir sind auch gewählt, um uns für die Interessen unserer Region einzusetzen»

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