Wie sicher ist die Energieversorgung der Zukunft?

  28.06.2024 Politik

ENERGIEPOLITIK In den letzten Wochen gab es im Kanton Bern mehrere Stromunterbrüche. Was bedeutet das für die elektrifizierte Zukunft? Werden Blackouts durch den steigenden Strombedarf zunehmen? Im Gegenteil, sagt GLP-Nationalrat Jürg Grossen. Im Interview erklärt er, warum.

«Frutigländer»: Vor genau zwei Monaten fiel im Frutigland grossflächig der Strom aus, am vorletzten Wochenende traf es die Stadt Bern und die Agglomerationen. Ist unsere Energieversorgung unsicherer geworden?

Jürg Grossen: Verglichen mit anderen Ländern ist unser Stromnetz sehr stabil. Einzelne Ausfälle gab es auch in der Vergangenheit, und ich kenne keine Zahlen, die auf eine Zunahme solcher Ereignisse hindeuten würden.

Was hingegen mit Sicherheit gilt: Wir werden künftig viel mehr Strom benötigen als bisher ...

... zumindest kurzfristig stimmt das nicht ganz. Der Verbrauch in der Schweiz nimmt nicht einfach stetig zu. Aufgrund diverser Effizienzsteigerungen sind die Zahlen seit fast 20 Jahren stabil – obwohl die Bevölkerung in dieser Zeit um 1,5 Millionen zugenommen hat und viele Elektroautos sowie Wärmepumpen hinzugekommen sind.

Der landesweite Verbrauch liegt gegenwärtig bei knapp 60 Terawattstunden. Im Zuge der Elektrifizierung dürfte er um rund 50 Prozent steigen. Macht uns das bei der Versorgung noch verwundbarer?

Langfristig benötigen wir mehr Elektrizität, das ist richtig. Doch ich sehe darin nicht per se ein Problem. Nehmen wir den Fall Frutigland von vor ein paar Wochen: Das Ereignis war auf einen Isolatorendefekt zurückzuführen, der eine unglückliche Kettenreaktion ausgelöst hatte. Das hat nichts mit der Menge an Strom zu tun, sondern mit der Wartung der Leitungen. Die Stromanbieter, in diesem Fall die BKW, dürfen von den KundInnen einen Mehrbetrag abschöpfen, um das Netz instandzuhalten. Gesetzlich sind sie aber nicht verpflichtet, mit diesem Geld den Netzunterhalt zu finanzieren, und man weiss leider nicht genau, wohin die Beträge fliessen.

Bräuchte es griffigere Regeln?

Präzisere Regeln wären schon sinnvoll. Ich unterstelle der BKW allerdings nicht, ihr Netz zu vernachlässigen. Stromanbieter haben ein ureigenes Interesse, die Energie zuverlässig zu liefern, und ich bin überzeugt, dass da sinnvoll investiert wird. Doch die Wartung der Anlagen ist schon eine Herausforderung.

Trotzdem: An besagtem 27. April dürften manche AdelbodnerInnen froh gewesen sein, in der Garage einen Benziner stehen zu haben und kein Elektroauto.

Warum denn? Ich fahre seit Jahren elektrisch, noch nie war meine Batterie komplett leer. Meist ist sie mehr als 70 Prozent voll. Es müsste schon ein ganz dummer Zufall eintreten, damit ich zu Hause festsässe. Das E-Auto gibt mir im Gegenteil Sicherheit.

Warum?

Eine moderne Autobatterie kann 60 bis 80 kWh Elektrizität speichern. Das ist eine grosse Menge, die gemeinhin unterschätzt wird. Mit einer vollen Autobatterie kann man heute ein Einfamilienhaus mehrere Tage lang mit Strom versorgen.

Womit wir beim Stichwort dezentrale Stromversorgung angelangt sind. Ein Schlüsselelement für die Zukunft?

Auf jeden Fall. Unser Unternehmen, das weitgehend aus Photovoltaik gespeist wird, war vom Stromausfall im April nicht betroffen. Unser Wechselrichter und die Batterie stellten den Betrieb unterbruchsfrei sicher. Die Batterie ermöglicht es uns auch, die Nacht mit gespeichertem Solarstrom zu überbrücken.

Ist Ihr Unternehmen somit übers ganze Jahr hinweg autark?

Nein, das Stromnetz ist und bleibt auch für uns wichtig, besonders im Winter, wenn die Tage kurz sind. Wenn tagelang schlechtes Wetter herrscht, dann sind wir auf Zusatzstrom aus Wasserkraft übers BKW-Netz angewiesen. Zudem ist es wichtig, dass überschüssiger Solarstrom ins Stromnetz eingespeist und in der Nachbarschaft verbraucht werden kann. Eine Autarkie ist deshalb nicht anzustreben, eine Resilienz, also eine sichere Versorgung über eine gewisse Zeit, macht hingegen Sinn.

Was die Politik derzeit beschäftigt, ist die Versorgungssicherheit des Mobilfunks. Bei einem Stromausfall steigen die Antennen nach wenigen Stunden aus. Ohne Kommunikation herrscht aber rasch Chaos. Braucht es in diesem Bereich strengere Auflagen?

Ja, da besteht ein gewisser Handlungsbedarf. Die Notversorgung muss länger gewährleistet sein als bisher. Eine Dauer von bis zu acht Stunden erachte ich als sinnvoll.

Von den Mobilfunkanbietern kommt aber Widerstand. Wie bringt man sie dazu, aufzurüsten?

Das muss die Politik anordnen. Es gehört zur Grundversorgung unseres Landes, auch im Krisenfall eine zuverlässige Kommunikation sicherzustellen.

INTERVIEW: JULIAN ZAHND


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