Richtig oder falsch? Wer hat’s erfunden?
10.02.2023 GesellschaftDas Fondue gilt als urschweizerisch. Die romantische Vorstellung: Sennen hätten einst Käsebrocken in einen Topf geworfen, sie über dem Feuer zum Schmelzen gebracht und mit Brot gegessen. Doch möglicherweise stimmt das gar nicht. Wer nach dem Ursprung des Fondues sucht, landet – ausgerechnet – in Zürich.
MARK POLLMEIER
Das Quartier Latin war früher das Univiertel der französischen Hauptstadt. Seinen Namen hat es von den Latein sprechenden Studenten und Gelehrten, die dort verkehrten. Heute ist das «lateinische Viertel» vor allem von Touristen bevölkert, die dort ein Café oder Restaurant suchen.
Besucher aus Deutschland oder der Schweiz haben in den engen Gassen des Quartier Latins womöglich ein Aha-Erlebnis: In vielen Restaurants wird selbst im Hochsommer Käsefondue angeboten. Bei 30 Grad im Schatten sitzen ganze Reisegruppen vor einem brodelnden Topf und geniessen ihr «Fondue savoyarde aux trois fromage», begleitet von Schinken und «Gschwellti».
Heidi und der Käsebraten
Dass man das Käsefondue in Paris als französische Erfindung aus Savoyen verkauft, verwundert nun doch etwas. Stammt das Gericht denn nicht aus der Schweiz? Hat nicht schon der Alpöhi dem Heidi und dem dauerhungrigen Geissenpeter abends Fondue serviert?
Ein Nachlesen in den «Heidi»-Romanen zeigt: Nein, hat er nicht. Dort ist nur von einem «Käsebraten» die Rede, den der Grossvater zubereitet. Der Alte hielt «an einer langen Eisengabel ein grosses Stück Käse über das Feuer und drehte es hin und her, bis es auf allen Seiten goldgelb war». Dazu gab es mal eine grosse Kartoffel, mal Brot. Das tönt nun eher nach Raclette als nach Fondue.
Immerhin: Käse hat man offenbar dort zum Schmelzen gebracht, wo er hergestellt wurde, nämlich in den Bergregionen. Andernfalls hätte die «Heidi»-Autorin Johanna Spyri diese Zubereitungsart nicht so häufig beschrieben.
Allerdings wurde Käse eben nicht nur in den Schweizer Bergen gemacht – sondern auch in den französischen und den italienischen Alpen. In Savoyen gilt das Fondue sogar als regionale Spezialität. Meist werden dafür mehrere Käsesorten gleichzeitig verwendet, etwa Comté de Montagne, Beaufort und Gruyère de Savoie. In französischen Kochbüchern aus der Region sind entsprechende Rezepte seit dem 17. Jahrhundert belegt.
Auch im angrenzenden Italien, etwa im Aostatal und im Piemont, kennt man die Fonduta di formaggio. Allerdings hat der geschmolzene Käse dort nicht die Bedeutung wie in den Nachbarregionen. Vielfach spricht man in Norditalien heute nur noch von der Fonduta Svizzera. Kommt das Käsefondue am Ende also doch aus der Schweiz?
«Allzeit ein wenig glüht darunter laßen»
Zumindest ist das Gericht hierzulande ebenso lange bekannt wie in Frankreich. Das älteste Rezept, das sich dazu finden lässt, stammt jedoch nicht aus den Bergen – sondern aus Zürich. Im dortigen Zentralarchiv liegt das persönliche «Koch-Buch» der Anna Margaretha Gessnerin geborene Kittin aus dem Jahr 1699. Im Kapitel «Von Milch- und Eyerspeißen» findet sich darin das Rezept für «Käß mit Wein zu kochen» – also Käsefondue. «Thu ein halb gläßlin voll wein in ein blaten und die glutpfann und thu gschabnen oder zerribnen feißen alten käß darein», notierte die Autorin in geschwungener Schrift. Und auch eine Verzehrempfehlung fehlt nicht. Wenn der Käse geschmolzen sei, «dann dunke brot darein und iß ihn also mit dem brot. aber du must allzeit ein wenig glüht darunter laßen, sonst wird er bald wider hert.» Dass ausgerechnet die Zürcher das Fondue erfunden haben, ist damit noch nicht bewiesen. Dass man in Zürich um das Jahr 1700 herum schon «Käß mit Wein» ass, scheint dagegen sicher. Woher die Anna Margaretha Gessner(in) das Gericht kannte, bleibt dagegen im Dunkeln.
Vermutlich kam man überall dort auf die Idee, Käse zu schmelzen, wo er verfügbar war. Ganz zu Beginn war das sicher in den Bergregionen der Fall. Doch mit dem Handel kam der Käse natürlich auch in die Städte – nach Genf und Grenoble, nach Turin oder eben nach Zürich. Und über die Handelswege verbreitete sich auch das Rezept, wie man den Käse schmelzen und in ein sämiges Gericht verwandeln konnte.
Verkaufsschlager an der Weltausstellung
Das Fondue ist also international. Dass man dabei trotzdem zuerst an die Schweiz denkt, ist wohl diversen Werbekampagnen zu verdanken. Im ausgehenden 19. Jahrhundert begann die Schweiz, das Käsefondue als nationale Spezialität zu vermarkten. An der Landesausstellung 1896 in Genf oder an der Weltausstellung von 1940 in New York: bei jeder Gelegenheit wurden Tonnen von geschmolzenem Käse verkauft.
FIGUGEGL und Armeeküche
Während der Weltwirtschaftskrise der 1920er-Jahre bewarb die gerade gegründete Schweizerischen Käseunion das Fondue im Inland – vor allem, um den heimischen Milchmarkt zu stützen. 1954 lancierte die Käseunion den FIGUGEGL-Slogan: «Fondue isch guet und git e gueti Luune». Ab diesem Zeitpunkt war das Käsegericht buchstäblich in aller Munde.
In den 1960er-Jahren wurden dann auch die Schweizer Rekruten vermehrt mit Fondue verköstigt. Die Armeeküche förderte damit nicht nur den Käseabsatz. Das kollektive Rühren im Caquelon war auch ein Gemeinschaftserlebnis, das Rekruten aus allen Landesteilen zusammenbrachte. So wurde das Fondue, das man vorher vor allem in der Romandie kannte, auch in der übrigen Schweiz beliebt – ein Nationalgericht war geboren.
Das Kochbuch der Anna Margaretha Gessnerin haben wir unter www.frutiglaender.ch im Bereich Web-Links hinterlegt.
Quelle: Gessner-Kitt, Anna Margaretha: Koch-Buch. [Zürich], 1699. Zentralbibliothek Zürich, Ms P 6071 https://doi.org/10.7891/e-manuscripta-13216 / Public Domain Mark