«Ich bin gegen eine Verkleinerung»

  18.06.2024 Frutigen

Nach 26 Jahren in der Politik zieht sich Hans Schmid zurück. Ende Juni gibt er das Amt als Obmann ab. Ein Gespräch über Respekt, Visionen und Steuererhöhungen.

Hans Schmid, Sie treten vor Ablauf der Legislatur aus gesundheitlichen Gründen infolge eines Jagdunfalls vom letzten Jahr zurück. Wie geht es Ihnen heute?

Danke, grundsätzlich gut. Es sind zwar einige Beeinträchtigungen da, die noch Folgebehandlungen erfordern, aber prinzipiell bin ich zufrieden. Ich habe mich gut erholt.

Sie respektive der Gemeinderat war in der letzten Zeit öffentlich und medial unter Druck, was die Baupolizei angeht. Ist dieses «von oben» angeordnete Aufräumen mit ein Grund für den Rücktritt?

Nein, das hat bei meinem Entscheid keine Rolle gespielt. Sowohl die Arbeit als auch die Politik hat mich nie belastet, und das wird so bleiben. Dass ich nicht immer gleicher Meinung wie die Regierungsstatthalterin bin, liegt in der Natur der Sache respektive der unterschiedlichen Aufgaben und Verantwortungen.

Obwohl nicht in Ihrem Resort angesiedelt, führten die Baupolizeifälle schweizweit zu negativen Schlagzeilen für Frutigen. Wieso kam es so weit?

Es hat sich abgezeichnet, dass das ein grösseres Thema wird. Vor allem ist es aber eine Frage der Verhältnismässigkeit. Ich wurde auch schon von einem Amtskollegen gefragt, ob die Rolle der Statthalterämter noch zeitgemäss sei. Welche Aufgaben haben sie, was erwarten die Bürger von ihnen und braucht es diese Zwischenebene überhaupt noch? Dies darf man ruhig hinterfragen.

Vorzeitige Rücktritte sind oft ein legitimes politisches Mittel, damit bei den nächsten Wahlen ein Bisheriger antreten kann. Kein Gedanke daran?

Nein, überhaupt nicht. Mein Entscheid hat sich in den letzten Monaten entwickelt, aufgrund meiner Gesundheit und Arbeitsbelastung. Die Bekanntgabe gegenüber der Partei erfolgte dann spontan am Abend vor der SVP-Parteiversammlung. Das wusste vorher niemand.

Im nächsten Jahr finden in Frutigen Gesamterneuerungswahlen statt. Es wird wegen Amtszeitbeschränkungen einige Wechsel geben. Die Ausgangslage ist spannend, die Parteien spielen dabei eine wichtige Rolle. Darf Ihr Nachfolger oder die Nachfolgerin auch von ausserhalb der SVP sein?

Absolut, es geht schliesslich um die Sache. Meine Nachfolge muss Lösungen für die gesamte Bevölkerung von Frutigen suchen können und wollen. Und sie muss einen Gemeinderat führen können. Da kommen so unterschiedliche Leute, Ansichten und politische Erfahrungen zusammen, die Beratungen müssen geordnet erfolgen. Es muss immer um die Sache und nicht um Köpfe gehen.

Schauen wir kurz zurück auf 26 Jahre politische Arbeit. Was hat sich aus Ihrem Blickwinkel in der Lokalpolitik verändert?

Die Bevölkerung wurde sicher kritischer in dieser Zeitspanne. Kritik erfolgt heute schneller und direkter, auch juristische Schritte werden rascher eingeleitet. Das muss nicht schlecht sein, solange der gegenseitige Respekt da ist. Die Distanz zwischen Bevölkerung und Behörde ist klein, wir Gewählten sind ja nicht anders. Aber der Gemeinderat als Ehrenamt, wohl noch mit Krawatte, das ist definitiv vorbei.

Wie haben Sie das wahrgenommen?

Ich wurde sehr selten persönlich angegangen, kaum je unter der Gürtellinie. Ich mag Streitgespräche und Diskussionen sehr, aber sachlich und mit Respekt. Ich bin auch nach heftigen Auseinandersetzungen nie über jemanden persönlich verärgert. Ich hatte insgesamt sehr spannende und lehrreiche Amtszeiten, die mich aber forderten.

Und worauf muss sich ein neuer Gemeinderatspräsident in Frutigen heute einstellen?

Freude an dieser Arbeit ist sehr wichtig – und ein breiter Rücken nützlich. Gute und ressortübergreifende Kenntnis der Geschäfte ist angesichts der Gesamtverantwortung für die Entscheide im Gemeindehaus wichtig. Schliesslich ist der Obmann gefragt, wenn etwas als nicht gut betrachtet wird, da wird das Gespräch rasch mit dem Präsidenten und nicht dem Ressortchef gefordert.

Wie hat sich Frutigen als Ort verändert?

Das Dorf als Zentrum ist stark gewachsen, die ländliche Bevölkerung geht gleichzeitig zurück. Das kann wenig beeinflusst werden. Durch Zuzüger kommen auch neue Kräfte und Ansichten nach Frutigen, die die Gesellschaft verändern. Die wirtschaftliche Entwicklung erachte ich als sehr positiv, genauso wie die Erschliessung, den Wohnungsbau oder die Lösungen in der Schulraumproblematik. Die Bildung muss weiterhin in den Bäuerten und im Dorf für alle Kinder und Jugendlichen gut sein. Als Zentrumsgemeinde stehen wir heute gut da und sind attraktiv.

Wie geht es weiter?

Wachstum heisst auch mehr Strassen, Schulen, Wasser- oder Kanalisationsleitungen und bedeutet nicht automatisch auch mehr Geld für die Gemeinde. Die wachsende Infrastruktur muss finanziert sein. Wir sind so getrimmt auf immer mehr, immer schneller, immer weiter. Halten des Zustands ist vielleicht gar nicht so schlecht, ein Abwägen bei Ausbauvorhaben aller Art wird wichtiger.

Apropos Veränderung: Das Gemeindehaus wird um- und ausgebaut, eine Regionale Bauverwaltung geschaffen. Die Verwaltung wird ebenfalls durchleuchtet und die heutigen Strukturen überprüft. Wieso wurde nicht gleichzeitig eine Reduktion des neunköpfigen Gemeinderates an die Hand genommen?

Betriebswirtschaftlich sind kleine Führungsgremien mit Spezialisten absolut korrekt. Eine Gemeinde funktioniert aber nicht wie eine Unternehmung. Der Rat muss die unterschiedlichen Bevölkerungs- und Interessengruppen sowie Branchen abbilden. Eine Reduktion würde die Belastung der einzelnen Ratsmitglieder erhöhen, was sicher nicht bei der Suche nach KandidatInnen hilft. Dieses Amt muss neben der Arbeit ausführbar bleiben, sonst schliessen wir viele Leute grundsätzlich davon aus. Ich persönlich bin deswegen klar gegen eine Verkleinerung. Ich möchte auch nicht, dass die Verwaltung Führungsaufgaben des Rates übernimmt, was bei einer Reduktion kaum zu vermeiden wäre. Das Fachwissen des Gemeindeschreibers und der Abteilungsleiter ist für die Ressortvorsteher enorm wichtig, aber entscheiden soll die Politik.

Ein gewichtiges Thema sind jeweils die Finanzen – egal, ob viel oder wenig Geld in der Gemeindekasse ist. Sie haben den Ruf, genau hinzuschauen bei den Ausgaben und eher mal Nein zu sagen …

… das ist so.

Oftmals nützt ein Nein aber nichts, wenn die Ausgaben gebunden sind. Das Budget ist begrenzt. Wohin führt das in Frutigen?

Da wir nun das Freibad nicht sanieren müssen, sich der Hochwasserschutz verzögert, einige Investitionen kleiner ausgefallen sind und wir das Budget seit der letzten verlorenen Abstimmung vor zwei Jahren über eine Steuererhöhung besser im Griff haben, sollten wir die kommenden Aufgaben der nächsten Legislatur finanzieren können.

Also ist keine Steuererhöhung in Sicht?

Aktuell nicht. Wenn die Schutzprojekte von fünf oder sechs Millionen Nettokosten für die Gemeinde realisiert werden und beispielsweise auch zusätzliche Schulräume wieder aktuell werden, ist eine Erhöhung aber nicht auszuschliessen. Neue Investitionen erfordern sicher Augenmass.

Als visionärer Gestalter hat sich der Gemeinderat Frutigen kaum hervorgetan, eher als Verwalter. Teilen Sie diesen subjektiven Eindruck?

Absolut nicht, das ist nicht korrekt! Man kann Visionen haben, aber jede Umsetzung kostet Geld. Es muss nicht jedem Obmann wichtig sein, irgendwo einen Tempel zu bauen als Zeichen dafür, was er realisiert hat. Mit unserer Vision 2035 sind wir langfristige Ziele angegangen, sei dies in der Wirtschaft, dem Sozialen oder der Umwelt. Deren Einhaltung wird in jedem Ratsgeschäft überprüft. Im Gegensatz zur Privatwirtschaft muss eine Gemeinde aber zuerst viele Pflichtaufgaben erledigen, die finanzielle Ressourcen bindet. Visionen sind da nur im kleinen Rahmen möglich. Wir haben aber die Finanzen in den Griff bekommen, haben passende Infrastrukturen, bauen und sanieren umweltbewusst und realisierten verschiedene Solaranlagen auf unseren Gebäuden.

Als Gemeinderatsmitglied exponiert man sich immer wieder, setzt sich mit Entscheiden auch Druck aus. Erklären Sie, wieso sich jemand in so einem Amt engagieren sollte.

Ich sage jedem «Das kannst du!» Er oder sie muss Freude am Gestalten haben, an der Entwicklung des eigenen Dorfes und des ländlichen Raumes, und gern mit Leuten umgehen. Als Gemeinderat kann man wirklich etwas zum Standard und zur Qualität in seiner Gemeinde beitragen – man hilft mit, statt zu kritisieren.

Bei einem Abschied hinterlässt man zwangsläufig unerledigte Geschäfte. Was hätten Sie persönlich gern zu Ende geführt?

Alles! Das Ziel eines Obmanns muss doch sein, Geschäfte möglichst ans Ziel zu bringen. Doch der Wechsel ist normal, bei all den laufenden Aufgaben kann nicht alles abgeschlossen werden. Ich habe Pendenzen von meinem Vorgänger übernommen und lasse den Nächsten einige offene zurück.

INTERVIEW: HANS RUDOLF SCHNEIDER


Der lange politische Weg

Hans Schmid (61) ist heute Geschäftsführer der AFA Bus AG, die die konzessionierten Linien Adelboden-Frutigen-Kandersteg und an der Lenk betreibt. Politisch war er von 1998 bis 2001 Gemeinderat (Umwelt und Betriebe), anschliessend übernahm er bis 2005 das Finanzressort und war Vize-Gemeinderatspräsident. Von 2007 bis 2014 vertrat er die Region im bernischen Grossen Rat. Im Herbst 2016 übernahm er den Posten des vorzeitig zurückgetretenen Gemeinderatspräsidenten Ruedi Egger bis zum Ende der Legislatur. Er erzielte an der Urne 1595 Stimmen, sein Konkurrent Hans Peter Bach 1226. Schmid wurde anschliessend still für die Amtsdauer 2018 bis 2021 wiedergewählt. Die Wahl für seine zweite und letzte Amtsdauer erfolgte Mitte 2021 mit 2418 Stimmen gegen den Herausforderer Urs Peter Künzi (855 Stimmen). Auf den 30. Juni 2024 hat er seinen vorzeitigen Rücktritt bekannt gegeben.

HSF


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