Fragen und Antworten für «Knappgläubige»

  20.06.2023 Kultur

LITERATUR Der frühere Frutiger Pfarrer Ruedi Heinzer hat ein Buch für gläubige Zweifler und zweifelnde Gläubige geschrieben, für Menschen, die ihre Kirche lieben und sich manchmal doch über sie ärgern.

MARK POLLMEIER
Die Schweiz ist ein christliches Land. Der Allmächtige steht ganz am Anfang der Bundesverfassung, auf der Schweizerfahne prangt das Kreuz, und in der Landeshymne ist von «Gott, dem Herrn» die Rede.

Ist die Schweiz ein christliches Land? Jedes Jahr aufs Neue vermelden die Medien, wie viele Menschen wieder aus den grossen Landeskirchen ausgetreten sind. Statistiken belegen, wie die Religion allmählich aus der Gesellschaft verschwindet. Und doch sind über 50 Prozent der Bevölkerung reformiert oder römisch-katholisch. Sie sind getauft, zahlen Kirchensteuer – aber im Alltag spielt ihr Christsein meist keine grosse Rolle. Ruedi Heinzer nennt sie: die Knappgläubigen. Für sie hat er seine Lifehacks verfasst. Der englische Begriff stammt aus den sozialen Medien: Lifehacks sind Tricks und Kniffe, die einem das Leben erleichtern, die helfen, ein Problem schnell und einfach zu lösen.

Grundsätzliches auf zwei Seiten
Doch wozu brauchen Knappgläubige Lifehacks? Weil ihnen der Wind ins Gesicht bläst, weil sie den Zeitgeist gegen sich haben. Wer sich als Christin oder Christ zu erkennen gibt, wird heute schnell einmal in Diskussionen verwickelt. Wozu braucht man denn noch Religion, wenn die Wissenschaft heute doch alles erklären kann? Wie soll es einen «lieben Gott» geben – bei all dem Leid in der Welt? Und warum muss man überhaupt irgendetwas glauben – man kann doch auch einfach so ein guter Mensch sein?

Zu fast jeder dieser Fragen liesse sich ein ganzes Buch schreiben. Doch das wären keine Lifehacks, keine hilfreichen Tipps für den Alltag mehr. Ruedi Heinzer geht deshalb einen anderen Weg: Er fasst sich kurz. Sowohl im Stil als auch in der Länge erinnern seine Texte an die «Pfaffengriffel»-Kolumnen, die er viele Jahre lang für den «Frutigländer» schrieb. So erhält jedes Thema gleich viel bzw. gleich wenig Raum, nämlich zwei locker bedruckte Seiten. Griffig sollen die kurzen Abschnitte sein, findet Heinzer, pragmatisch und vor allem: eine Gesprächsgrundlage. Er erwarte nicht, dass man immer einverstanden ist, schreibt er im Vorwort. Vielmehr erhofft er sich eine faire Auseinandersetzung: «Man vertritt ernsthaft seine Überzeugungen, aber niemand beansprucht, allein selig machend zu sein.»

«Die Bescheidenen unter den Atheisten»
Für die gepflegte Diskussion über theologische Themen braucht es freilich nicht einmal ein Gegenüber. Wer sich für Fragen des Glaubens und der Religion interessiert, kann auch allein in Heinzers Buch herumblättern und quasi mit sich selbst diskutieren – jeder der rund 60 Lifehacks ist in sich abgeschlossen und bietet neue Denkanstösse. Wer über ein Fremdwort oder einen Fachbegriff stolpert, dem hilft das «bissige Wörterbuch» am Ende weiter. Bissig deshalb, weil die Erläuterungen zwar sachlich, aber doch pointiert sind – und auch den Humor nicht vermissen lassen. «Agnostiker sind die Bescheidenen unter den Atheisten», heisst es etwa zum ersten Schlagwort. «Sie sagen nicht, es gebe keinen Gott. Sie sagen vorsichtig: Ich kann es nicht wissen. Wie vernünftig und sympathisch, quasi die neutrale Schweiz zwischen verfeindeten Atheisten und Gläubigen!»

Schon dieses Zitat zeigt: Ruedi Heinzer vertritt seinen Standpunkt mit Selbstbewusstsein – aber er beansprucht nicht, die alleinige Wahrheit zu verkünden. «Ich lege dar, was mich fasziniert, was für mich funktioniert, was ich wichtig finde und was daneben.»

Buchvernissage mit Lesung und Musik am Freitag, 23. Juni, um 19.30 Uhr in der Bibliothek Spiez, Sonnenfelsstrasse 1, Spiez.

Ruedi Heinzer: Lifehacks für Knappgläubige. Theologischer Verlag Zürich (TVZ), 188 Seiten, mit Illustrationen von Christa Heinzer.


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