Ein verlockendes Angebot

  02.02.2024 Politik

Bauern investieren ihre Ersparnisse eher in den Hof als in die Altersvorsorge. Eine 13. AHV-Rente käme ihnen eigentlich gelegen. Das bringt sie in die Zwickmühle.

JULIAN ZAHND
Für etliche Bauern dürfte der kommende 3. März kein einfacher Tag werden. Dann nämlich wird über die 13. AHV-Rente abgestimmt – eine Vorlage, die vielen von ihnen nützen würde, die sie aber nicht ganz ohne schlechtes Gewissen annehmen können.

Vordergründig ist die Sache einfach: Der Schweizer Bauernverband (SBV) lehnt die 13. AHV-Initiative ab. «Die Rechnung geht nicht auf», schreibt der SBV in einer Mitteilung. Zwar sei die erste Säule der Altersvorsorge für Bauern wichtig. Doch weil der Bund einen Fünftel der Zusatzkosten (jährlich 800 Millionen bis eine Milliarde Franken) berappen müsste, kämen auch die landwirtschaftlichen Direktzahlungen unter Druck, so befürchtet der Verband. Zudem würden höhere Lohnabgaben oder Mehrwertsteuern die unteren Einkommensschichten, also insbesondere die Landwirte, stark belasten.

Auch die Schweizerische Volkspartei, der traditionell viele Bauern angehören, hat die Nein-Parole ausgegeben. Die «linksextreme» Initiative stelle einen «Raubzug auf die AHV» dar. An der Parteiversammlung in Frutigen schloss sich Nationalrat und Landwirt Ernst Wandfluh dieser Argumentation an. Für die Initiative votierte im Saal niemand.

Zwei mögliche Gründe für ein Ja
Dennoch dürfte sich der eine oder andere Landwirt fragen, ob er am 3. März tasächlich Nein stimmen sollte. Denn gerade für Bauern ist die 13. AHV-Rente insbesondere aus zwei Gründen attraktiv:

1. Unterdurchschnittliche soziale Absicherung: Im Jahr 2021 verdiente ein Vollzeit-Bergbauer durschnittlich 43000 Franken, was deutlich unter dem landesweiten Durchschnitt liegt. Selbst mit ausserlandwirtschaftlichen Nebeneinkünften, die in Bergregionen rund ein Drittel des Einkommens ausmachen, sind die Löhne unterdurchschnittlich. Das wiederum führt in der Regel zu einer tieferen Rente im Alter.

Hinzu komme, dass Landwirte ihre Ersparnisse in der Regel in den Hof investieren, zu dem sie eine enge Beziehung hätten, sagt Mathias Grünig. Er ist Bereichsleiter Versicherungen und Personaldienstleistungen beim Berner Bauern Verband und Leiter der Agrisano Regionalstelle Bern. «Eine Investition ausserhalb des Hofs, beispielsweise für die Altersvorsorge, ist für viele Bauern ungewohnt und wird daher nicht in Betracht gezogen.» Die Zahlen belegen das: 2020 verfügten gemäss Bundesamt für Statistik 44 Prozent der Landwirte über eine Altersvorsorge, die auf drei Säulen basiert. Dieser Wert liegt unter dem landesweiten Durchschnitt. 13 Prozent mussten allein mit der AHV auskommen.

Das Manko ist dem Schweizer Bauernverband und der Versicherung Agrisano bewusst. Seit einigen Jahren sensibilisieren sie ihre Klientel für dieses Thema – mit Erfolg, wie Grünig sagt. Die soziale Absicherung sei besser als früher, der Prozess des Umdenkens brauche aber Zeit.
2: Die Krux mit den Ergänzungsleistungen: Die Gegner der Initiative stören sich insbesondere am Giesskannenprinzip. Für Bedürftige gebe es ein massgeschneidertes Instrument, nämlich die Ergänzungsleistungen (EL). Im Kanton Bern bezogen im Jahr 2022 gut 13 Prozent der AHV-BezügerInnen EL. Die Quote ist seit einigen Jahren mehr oder weniger stabil. Weil die Kosten für die EL dennoch steigen, wurden die Beiträge per Anfang Jahr jedoch gekürzt, was Bund und Kantonen Einsparungen von jährlich 400 Millionen Franken bringt. Zudem beziehen schweizweit schätzungsweise 230 000 Personen keine EL, obwohl sie eigentlich Anspruch darauf hätten – besonders in ländlichen Regionen. In vielen Fällen ist dieser Nicht-Bezug ungewollt und basiert auf Unwissen. Manchmal spielt aber auch Scham eine Rolle. Mathias Grünig ortet bei den Bauern zumindest eine gewisse Zurückhaltung, auf die Behörden zuzugehen.

Was sagt der Berner Bauern Verband?
Während etwa die Kleinbauernvereinigung die Ja-Parole beschlossen hat, folgt der Berner Bauern Verband dem SBV und empfiehlt, die 13. AHV-Rente abzulehnen. Präsident Jürg Iseli weiss, dass die Initiative bei vielen Bauern Sympathien geniesst – und warum. Er argumentiert aber, dass die 13. AHV-Rente ein Loch in Milliardenhöhe in die Altersvorsorge reissen würde, was zu Lasten der jungen Generation gehe. Auch er erachtet es als wichtig, die Landwirte zu ermuntern, sich eine 2. und 3. Säule für die Altersvorsorge aufzubauen. Und in Bezug auf die EL sagt er: «Wir können nicht mehr tun, als die Menschen zu sensibilisieren und sie davon zu überzeugen, dass ihnen diese Gelder wirklich zustehen.»

Als Nächstes müssen Iseli und die Gegner des AHV-Ausbaus jedoch noch ganz andere Überzeugungsarbeit leisten: Gemäss den ersten Meinungsumfragen liegt die Zustimmung derzeit bei über 61 Prozent, bei der SVP sind es 57 Prozent. Unter den Befürwortern dürften auch zahlreiche Bauern sein.


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