Ein tolles Wochenende für die heimischen Musikvereine

  13.06.2023 Kultur, Region

REPORTAGE Am Samstag und Sonntag traf sich die Oberländer Blasmusikszene in Zweisimmen. Die fünf teilnehmenden Vereine aus dem Frutigland kehrten mit hervorragenden Resultaten nach Hause zurück.

MARK POLLMEIER
Als die ersten MusikantInnen am frühen Samstagmorgen nach Zweisimmen fahren, regnet es. Auf dem eigentlich perfekten Festgelände ist zwar nur ein kleines Stück Fussweg nicht asphaltiert. Doch das genügt, um den ersten Ankömmlingen gleich einmal die polierten Schuhe mit grauem Schlamm zu verzieren. «Heieiei!», grummelt ein Musikant mit Posaunenkoffer, als er an sich hinabschaut.

Die MG Krattigen hat das «grosse Los» gezogen und darf die Musiktage mit dem allerersten Konzertvortrag eröffnen. Um kurz nach acht Uhr, während sich die anderen noch beim Empfang stärken dürfen, müssen die Krattiger sich im Gemeindesaal parat machen. Der frühe Termin hat aber auch Vorteile. Wer der Erste ist, kann sich auf der Bühne einrichten, eine Tonprobe machen, zur Ruhe kommen. Die Brass Band Frutigen wird später den umgekehrten Fall erleben: langes Warten und Loslegen unter Zeitdruck.

Doch jetzt im Gemeindesaal ist von Stress nichts zu spüren. Die Krattiger stimmen erst einmal ein Geburtstagsständchen für eines ihrer Mitglieder an. Und weil sie merken, dass noch einer Geburtstag hatte, gleich noch ein zweites. Aufgeregt ist dagegen die Moderatorin. Als sie zum ersten Mal zum Mikrofon greift, spricht sie von «passendem Musikwetter» – während es draussen noch giesst. Meint sie das ironisch? Im Saal jedenfalls müssen einige lachen. Nachdem die Juroren grünes Licht gegeben haben, geht es los.

Verspätung am frühen Morgen
Im nahe gelegenen Musikhaus wird es um kurz vor 11 Uhr laut: Der Tambourenverein Frutigland spielt auf. Im Freien tragen die schwarz gekleideten Herren konsequent Hut und Sonnenbrille – ihr Sektionswettspiel absolviert die trommelnde Truppe ohne diese Utensilien. In der reformieren Kirche wäre zur gleichen Zeit die Brass Band Frutigen an der Reihe. Doch irgendetwas ist schiefgelaufen. «Wir haben 45 Minuten Verspätung», sagt ein Helfer vor der Kirchentür. Drinnen arbeitet sich die Brass Band Harmonie Saanen durch ihr Programm. Die Frutiger stehen derweil ein paar Meter von der Kirche entfernt und warten.

Zeit zum Plaudern fürs Publikum
Ideal ist das nicht. Erstens werden die gerade eingespielten Instrumente kalt. Zweitens wird die Konzentration beim Herumstehen nicht besser; dafür wächst womöglich die Aufregung. Als es endlich losgeht, muss erst einmal aufwendig umgebaut werden. Vor allem die Perkussionisten haben wortwörtlich alle Hände voll zu tun, sich mit ihren vielen Instrumenten einzurichten und alles an die richtige Stelle zu tragen. Notenständer werden verschoben, Becken festgeschraubt. Das Publikum nimmt die Verzögerung gelassen. Zwei alte Recken aus der Musikszene plaudern über alte Zeiten und stellen fest, dass die «Strättligmusig» lange Jahre sehr gut gewesen sei.

Endlich kann der Dirigent den Taktstock heben, die Brass Band setzt an zu ihrem ersten Stück. 13 Minuten wird es dauern, und wie sich bald zeigt, ist die Kirche fast zu klein für den gewaltigen Klangkörper, den die Blechblasinstrumente entfalten.

Als Zuhörer und Musikanten mit Verspätung zurück aufs Festgelände kommen, hat dort schon die Mittagspause begonnen. Hier hat das Zuspätkommen Vorteile: Die langen Tischreihen in der Simmental-Arena sind schon besetzt, die Schlange vor der Menüausgabe ist angenehm kurz. Nach ein paar Minuten hat jeder seinen Teller in der Hand.

Am Nachmittag ist die MG Kandersteg an der Reihe. Bevor die Musikanten zum Einspielen gehen, ist erst einmal Fotografieren angesagt. Die letzte Musikfest-Aufnahme stammt vom «Eidgenössischen» 2016 in Montreux. Nun muss endlich mal ein neues Bild her. Doch wo platzieren? Am Ende entscheidet man sich für eine grün bewachsene Ecke vor der Turnhalle. Erst werden ein paar «seriöse» Fotos geschossen, danach noch einige, auf dem alle ausgelassen jubeln. Dass diese Bilder heute noch ihre Berechtigung haben werden, ahnt zu diesem Zeitpunkt freilich niemand.

Die Kandersteger sind für heute die Letzten, die auf die Vortragsbühne im Gemeindesaal müssen. Inzwischen hat sich das Wetter stark verbessert, die Sonne strahlt mit den Scheinwerfern um die Wette. Die Folge: Schon nach dem Spielen des Aufgabenstücks steht vielen der Schweiss auf der Stirn. Vielleicht war der Regen vom Morgen doch das bessere Musikantenwetter.

Nach den Konzerten steht die Marschmusik auf dem Programm. So mancher Musikant liebäugelt jetzt mit dem Bierstand, doch erst einmal ist Disziplin gefragt. Und das heisst unter anderem: komplette Uniform anlegen. Die Brass Band Frutigen mit ihren kurzärmligen Hemden ist nun klar im Vorteil. «So was hätten wir auch machen sollen», sagt einer und zieht seufzend seine dunkelgraue Uniformjacke an.

Vor der Paradestrecke herrscht ein bisschen Stau. Die wartenden MusikantInnen suchen den Schatten, Hüte und Jacken, gerade erst angezogen, werden wieder abgelegt. Doch dann, auf der Strecke, werden alle fürs Warten und Schwitzen belohnt. Das schöne Wetter hat viel Publikum angelockt. Entlang der Dorfstrasse wird geklatscht und fotografiert. Fast könnte man vergessen, dass auch dies ein Wettbewerb ist – doch ab und zu sprintet ein konzentriert schauender Herr mit Klemmbrett und Stift an den Marschierenden vorbei, schaut von der Seite in die Reihen und dann von hinten, notiert etwas, läuft weiter.

Am Ende der leicht abschüssigen Strecke, nachdem das «Halt!» der Dirigenten erklungen ist, heisst es noch einmal: Mund halten, geradeaus schauen, still stehen. Erst wenn der Juror das Zeichen gibt, ist die Marschmusik vorbei. Und wo ist jetzt die grösste Menschentraube? Genau: am Getränkestand.

Prophetische Bilder
Für mehr als ein schnelles Zielbier reicht die Zeit allerdings nicht: Schon versammeln sich hinter der Simmental-Arena alle zum Gesamtchor. Dort werden nicht nur ein paar gemeinsame Stücke gespielt, es werden auch diejenigen geehrt, die seit 30 oder 60 Jahren aktiv Musik machen. Schliesslich folgt das, worauf nun alle schon mit Spannung warten: die Rangverkündigung. Natürlich haben alle Vereine so ein Gefühl, wie es gelaufen sein könnte. Aber am Ende ist es doch oft eine Überraschung, welche Punkte die Experten vergeben haben. Und so hallt zwischen den einzelnen Rangansagen immer wieder ein ungläubiger Jubelschrei über die grosse Wiese. Mützen werden in die Luft geworfen, Musikkollegen liegen sich in den Armen. Auch in den Vereinen aus dem Frutigland wird gejubelt. Die Ergebnisse dieses Tages sind gut bis sehr gut – und nicht alle haben damit gerechnet.

Umso ausgelassener wird anschliessend gefeiert. In der Simmental-Arena heizen die Tornados den Hunderten MusikantInnen ordentlich ein. Mit einer Mischung aus Altbekanntem («Country Roads») und Mundartsongs («Alperose») treffen sie offenbar den Geschmack der Menge. Jung und Alt grölen mit, Bänke werden nicht nur zum Sitzen genutzt, und bald schon stapft die erste Polonaise durch den Saal.

Sonniger Sonntag
Am nächsten Morgen beginnt das Spiel von vorn. Schon früh rollen die ersten Busse aufs Gelände, der zweite Durchgang der Berner Oberländischen Musiktage steht bevor. Wettermässig haben die Sonntagsgäste es besser getroffen: Beim Empfang steht man heute unter Sonnen- statt unter Regenschirmen.

Die einzige Frutigländer Verein, der heute noch antritt, ist die MG Frutigen. Auch für sie ist erst einmal Warten angesagt: Der erste Auftritt steht erst um 13 Uhr an. Zeit genug also, sich bei den anderen umzuhören.
Eine besondere Attraktion ist natürlich die einzige Formation, die in der 1. Stärkeklasse antritt: die Brass Band Berner Oberland Junior. In der voll besetzten Kirche zeigt das junge Ensemble, was in der Blasmusik möglich ist – technisch, aber auch klanglich. Der gewaltig aufbrandende Sound ist allenfalls noch mit jenem einer grossen Kirchenorgel vergleichbar und animiert die Zuhörer zu begeistertem Applaus und Bravorufen.

In der Ruhe liegt der Erfolg (und im Üben)
Auch der zweite Frutiger Verein hat es mit dem Termin nach der Mittagspause ganz gut getroffen. Weil direkt vorher niemand spielte, können auch sie sich vor dem Auftritt Zeit nehmen. Heikle Stellen werden angespielt, alle Instrumente noch einmal gestimmt.

Bei aller Gelassenheit: So ganz wird man die Aufregung natürlich nie los. Kurz bevor es losgeht, macht eine Musikantin Zeichen ins Publikum: Drückt uns die Daumen! Sicher ist sicher. Ob es am Daumen drücken lag oder doch eher am fleissigen Üben: Auch die Mitglieder MG Frutigen werden am Abend dieses musikalischen Tages mit einem sehr guten Ergebnis belohnt werden. Für sie, aber auch für die anderen Vereine, die in Zweisimmen dabei waren, waren die Musiktage ein «Mupf» zur rechten Zeit. Schon im kommenden Jahr wird in Herzogenbuchsee das 25. Bernisch Kantonal-Musikfest stattfinden. Das erfolgreich absolvierte «Oberländische» hat bei vielen sicher für die nötige Motivation gesorgt, sich auch dort dem musikalischen Wettbewerb zu stellen – und danach noch ein bisschen zu feiern.

Bilder: Mark Pollmeier; Bild 3: ZVG; Bilder 4+7: Cordula Grossen  


Resultate ...

Die Musikvereine treten jeweils in verschiedenen Stärkeklassen an, wobei die 1. Klasse in Zweisimmen die höchste vertretene war. Unterschieden wird ausserdem zwischen Brass Bands mit reiner Blechbesetzung und Harmonieorchestern (Blechblasinstrumente und Holzblasinstrumente gemischt). Die Ergebnisse der teilnehmenden Vereine aus dem Frutigland:

Samstag, Konzertvorträge
• Brass Band Frutigen (Brass Band 2. Stärkeklasse): 2. Rang
• MG Kandersteg (Brass Band 4. Stärkeklasse): 1. Rang
• MG Krattigen (Harmonie 4. Stärkeklasse): 1. Rang

Samstag, Marschmusik-Parade
• Brass Band Frutigen (Brass Band 2. Stärkeklasse): 2. Rang
• MG Kandersteg (Brass Band 4. Stärkeklasse): 1. Rang
• MG Krattigen (Harmonie 4. Stärkeklasse): 4. Rang

Sonntag, Konzertvorträge
• MG Frutigen (Harmonie 4. Stärkeklasse): 1. Rang

Sonntag, Marschmusik-Parade
• MG Frutigen (Harmonie 4. Stärkeklasse): 1. Rang

Samstag, Tambouren
• Tambourenverein Frutigland (Sektionswettspiel): 1. Rang

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... und Ehrungen

An den Oberländischen Musiktagen wurden zahlreiche langgediente MusikantInnen geehrt, darunter auch einige aus dem Frutigland.

Von der Brass Band Frutigen wurden zu kantonalen Veteranen (30 Aktivjahre) ernannt:
• Urs Flückiger
• Christian Ingold
• Konrad Moser
• Jürg von Känel

Von der Musikgesellschaft Frutigen wurden zu kantonalen Veteraninnen (30 Aktivjahre) ernannt:
• Monya Schneider
• Manuela Moser
• Barbara Rösti

Ebenfalls zur kantonalen Veteranin wurde die Frutigerin Verena Burlon ernannt, die in der Musikgesellschaft Einigen spielt.
In den Genuss einer «Privatehrung» kamen ausserdem zwei Mitglieder der MG Kandersteg, Rolf Schüpbach und Christoph Wandfluh. Beide sind seit 25 Jahren Mitglied im Verein und wurden deshalb vor Ort von ihren KollegInnen gefeiert.

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