Blaue Pracht im Spätsommerlicht
08.08.2025 NaturBienen lieben blaue Blüten. Dennoch ist die Farbe Blau in Pflanzengesellschaften erstaunlich selten. Wer blaue Blumen sucht, findet sie in vielfältigen Wiesen – und in den Bergen.
Der Spätsommer ist im Botanischen Alpengarten Schynige Platte die Zeit ...
Bienen lieben blaue Blüten. Dennoch ist die Farbe Blau in Pflanzengesellschaften erstaunlich selten. Wer blaue Blumen sucht, findet sie in vielfältigen Wiesen – und in den Bergen.
Der Spätsommer ist im Botanischen Alpengarten Schynige Platte die Zeit der Hochstauden. Fingerhut, Weidenröschen und Eisenhut, welche nährstoffreiche Stellen an Bergwaldrändern, auf Alpweiden oder in Lawinenzügen mögen und in den ersten Sommerwochen kräftig gewachsen sind, entfalten ihre bunte Blütenpracht. Gleich mehrere Hochstauden blühen blau – am auffälligsten der Rittersporn, dessen lateinischer Familienname Delphinium aus der Chemie stammt. Die hier vor allem anzutreffenden blauen Blütenpigmente werden nach der lateinischen Nomenklatur «Delphinidine» benannt.
Beliebt, aber selten
Blau ist für Hummeln und andere Bienenarten besonders gut sichtbar, und blaue Blüten werden deshalb auch schnell gefunden und effizient bestäubt. Doch im Pflanzenreich gehört Blau zu den seltensten Farben überhaupt. Weltweit blühen weniger als zehn Prozent der von Insekten bestäubten Arten blau. Das ist wenig mehr als bei den für Bienen kaum sichtbaren roten Blütenarten. Und es ist sehr wenig im Vergleich zu dem für Bienen ebenfalls attraktiven Gelb, das 20 Prozent der Arten ausmacht, oder gar zu dem vor allem bei Fliegen beliebten Weiss, das bei 24 Prozent liegt.
Nun sind Bienen zwar die effizientesten, aber keineswegs die einzigen Bestäuber. Und die Blütenfarbe ist nur ein Signal, neben Duft, Nektar und anderen Lockmitteln. Deswegen ist im Laufe der Zeit auch eine enorme Blütenvielfalt entstanden. Dass aber ausgerechnet die beliebte Bienenfarbe Blau selten vorkommt, ist zumindest erstaunlich.
Ein internationales Forscherteam beschäftigte sich 2023 in einer Übersichtsstudie in der Wissenschaftszeitschrift «Frontiers in Plant Science» mit dem scheinbaren Widerspruch und vermutete, dass blau blühende Pflanzen vor allem dort im Vorteil sind, wo die Konkurrenz um Bestäuber besonders hart ist. Denn die Herstellung blauer Farbtöne ist komplex. Und dieser Aufwand dürfte sich für Pflanzen nur dort lohnen, wo sie intensiv um effiziente Bestäuber werben müssen.
Viel Konkurrenz, viel Blau
Tatsächlich blühen in höheren Lagen im Berggebiet, wo wegen des raueren Klimas weniger Bestäuber unterwegs sind, überproportional viele Pflanzen blau. Besonders selten gutes Flugwetter haben Bestäuber zu Beginn und zu Ende der Vegetationszeit. Deshalb setzen auch Früh- und Spätblüher wie Kochs Enzian im Frühling oder der Schwalbenwurzenzian im Herbst auf die sichere Bienenattraktion Blau, während Purpur- und Gelber Enzian mitten im Sommer so etwas nicht nötig haben.
Die Konkurrenz ist allerdings nicht nur dort hart, wo relativ wenig fliegt, sondern auch dort, wo besonders viel blüht – also vor allem in den Magerwiesen. Zu den artenreichsten Lebensräumen überhaupt gehören die mageren «Rostseggenhalden», das heisst die traditionellen Wildheuhänge – und sie beherbergen auch zahlreiche blaue Blumen: Etwa den Alpen-Tragant, den Alpen-Lein, die Kugelköpfige Rapunzel, die seltene Blaudistel oder die Bergflockenblume. Wie deren Verwandte, die Kornblume, färbt sie ihre tiefblauen Blütenkronen mit Cyaninen. Das sind Pigmente, die sonst bei Rosen und anderen roten Blumen vorkommen. Bei der Bergflockenblume und ihren Verwandten bilden ein Dutzend Cyanin- und andere Pigmente Komplexe mit Aluminium- und Eisen-Ionen, riesige «Superpigmente». Diese strahlen speziell in den Bergen, wo höhere Pigment-Konzentrationen die Blumen vor der höheren UV-Einstrahlung schützen, auch super-blau.
Noch wenig erforscht
Es gibt Blumen, in deren Familien das Erbgut für die Herstellung blauer Pigmente schlicht fehlt – etwa die Rosenund Nelkengewächse. Und die Sparsamen, die ihre Bienen nur mit «Saftmalen» – ein paar farbigen Strichen oder Pünktchen auf den Blütenblättern – zur richtigen Stelle manövrieren. Oder die «teilzeit-blauen» Blütenblätter und Saftmale, die sich nach der Bestäubung umfärben. Es gibt aber auch Blüten, die uns Menschen weiss scheinen, aber mit ihren Pigmenten im ultravioletten Bereich auf Bienen wahnsinnig attraktiv wirken.
In all diesen Bereichen gibt es für die Forschung noch sehr viel zu tun. Im Alpengarten Schynige Platte lassen sich die blauen Blumen und die ganze bunte Blumenpracht aber auch einfach nur anschauen. Auf rund einer Hektare werden über 800 der gut 900 Pflanzenarten präsentiert, die in der Schweiz an oder über der Waldgrenze wachsen – so weit wie möglich in den Lebensräumen und Gesellschaften, in denen sie auch in den Natur- und Kulturlandschaften ausserhalb des Gartenzauns vorkommen.
HANS ZURBUCHEN