An den Bauern führt kein Weg vorbei

  15.12.2023 Analyse

Sie setzen bei der Bundesratswahl die Themen, sie machen knallharte Lobbypolitik und haben zuletzt jede Abstimmung zu ihren Gunsten entschieden: die LandwirtschaftsvertreterInnen im Parlament. Doch die nächste Abwehrschlacht von SBV-Präsident Markus Ritter und seinen Truppen könnte schwieriger werden.

In der Schweiz arbeiten rund 150 000 Menschen in der Landwirtschaft, das sind nur knapp drei Prozent aller Beschäftigten. Im Schweizer Parlament dagegen findet man ganz andere Verhältnisse vor. Rund 20 National- und Ständeräte geben dort als Beruf Landwirt oder Bäuerin an. Berücksichtigt man zusätzlich die landwirtschaftsnahen Branchen (z. B. Forstwirtschaft, Fleischverarbeitung), kommen noch einmal so viele hinzu. Im Parlament stellt die Landwirtschaft somit mehr als 16 Prozent aller Mitglieder.

Wie immer man diese Zahlen bewertet, Tatsache ist, dass die Bauern in der nationalen Politik einen Machtfaktor darstellen – und dass sie diesen Machtfaktor selbstbewusst ausspielen. Das zeigt sich schon an Details, etwa bei der Bundesratswahl.

Jeweils am ersten Tag einer Session lädt der Schweizer Bauernverband ausgewählte ParlamentarierInnen zu einer informellen Besprechung ein. Bei dieser Zusammenkunft geht es natürlich um anstehende agrarpolitische Themen. Sofern Bundesratswahlen anstehen, werden aber auch die jeweiligen KandidatInnen unter die Lupe genommen, und kein Bundesratskandidat kann es sich leisten, die Einladung der Landwirtschaftsvertreter zu ignorieren.

Wie sehr diese Anhörung die nachfolgende Debatte beeinflussen kann, zeigte sich im Dezember 2022. Lange galt die SP-Kandidatin Eva Herzog als Favoritin für die Nachfolge von Simonetta Sommaruga. Doch das änderte sich nach den Gesprächen mit den Bauernvertretern. Plötzlich sprach die halbe Schweiz über die herzigen Schwarznasenschafe, welche die Mitkandidatin Elisabeth Baume-Schneider züchtet. Man erfuhr, dass sie die Tochter eines Landwirts ist und in einem 350 Jahre alten Bauernhaus lebt. Sie sei offen, freundlich und «gmögig», streute die Landwirtschaftsfraktion im Bundeshaus – «so wie Buuremeitschi halt sind».

Ein gmögiges Buuremeitschi – die Medien griffen solche Statements dankbar auf. Und siehe da: Der Wind drehte sich. Plötzlich stand Eva Herzog als arrogante Städterin da, als spröde Technokratin, die ihre Kollegen auf dem Gang nicht grüsst. Am Ende machte Baume-Schneider mit ihren Schwarznasenschafen das Rennen.

Ihre Wahl der Bauernlobby zuzuschreiben, wäre zu hoch gegriffen. Doch die Landwirtschaftsvertreter im Parlament hatten nach ihrer frühen Kandidatenanhörung die Themen gesetzt, die dann den Trend von Herzog zu Baume-Schneider einleiteten.

Auch dieses Jahr stellten sich die beiden Bundesratskandidaten der SP am Beginn der Session brav den Fragen der Bauern. Sie wussten um das mediale Interesse an dieser Veranstaltung: Weil es die erste Anhörung ist, stehen im Bundeshaus zahlreiche Journalisten bereit und hoffen auf knackige Statements. Wer solche Statements zuverlässig liefert, ist Nationalrat und SBV-Präsident Markus Ritter (Die Mitte). Nach der Anhörung des SP-Kandidaten Jon Pult liess er die Medienvertreter wissen, dass dessen Frau Veganerin sei und Pult selbst weniger Fleisch essen wolle. Das habe er den Anwesenden ungefragt mitgeteilt. «So etwas kommt in unseren Kreisen gar nicht gut an», sagte Ritter. Als Pult dann auch noch zugeben musste, dass er als PR-Mitarbeiter die Trinkwasserinitiative unterstützt hatte, war der Fall klar: Nie und nimmer würde der Bündner den Segen der Bauernlobby bekommen.

Auch der andere SP-Kandidat, Beat Jans, war nie der Liebling der Landwirtschaftsbranche. Aber er ging geschickter vor. Er habe eine Ausbildung zum Landwirt gemacht, erzählte der Basler vor der Wahl, er sei mit vielen Bauern befreundet und helfe ihnen gelegentlich auf dem Hof aus, damit sie mal in die Ferien gehen können. Auch seine Erfahrung in der Kantonsregierung betonte der Basler gern. Die Eigen-PR hatte offenbar Erfolg: Noch wenige Minuten vor dem ersten Wahlgang lobte SBV-Präsident Markus Ritter den Kandidaten Jans via SRF-Fernsehen: Er habe eine gute Entwicklung durchgemacht und an Format gewonnen. Die Botschaft war klar: wenn schon SP, dann den weniger schlimmen Kandidaten.

Wie das Duell am letzten Mittwoch ausging, ist bekannt: Gewählt wurde mit 134 Stimmen der gelernte Landwirt Beat Jans. Jon Pult erhielt im ditten Wahlgang nur noch 43 Stimmen. Dass die Landwirtschaftslobby bei der Bundesratswahl einmal mehr die Stimmung beeinflussen konnte, wird sie gefreut haben. Ihre wahren Erfolge erzielte sie jedoch in der Budgetdebatte. Um die Schuldenbremse einzuhalten, muss der Bundesrat sparen – und das wollte er unter anderem in der Landwirtschaft tun. Um 2 Prozent sollte das Agrarbudget im Jahr 2024 sinken, vor allem die Direktzahlungen wären davon betroffen gewesen.

Beim Schweizer Bauernverband herrschte Alarmstimmung. Schon im Sommer begann er mit seiner Gegenkampagne. Anfang September gab es einen Medienanlass auf dem Berner Bundesplatz, und mit gewohnt markigen Worten wetterte SBV-Präsident Ritter gegen die Sparpläne des Bundes: Sie seien moralisch verwerflich. Die Direktzahlungen zu kürzen, komme einem Diebstahl gleich. Später, an der DV des SBV in Bern, rief Ritter die Delegierten auf, die National- und Ständeräte persönlich anzurufen und sie zu bearbeiten. Das war Ende November, kurz vor Beginn der Session.
Und die Lobbyarbeit wirkte. Bei den Budgetbeschlüssen von dieser Woche rührte das Parlament die Direktzahlungen nicht an: Sie werden genauso hoch bleiben wie im Jahr 2023. Im Vergleich mit den Plänen des Bundesrats kommt der Entscheid einer Aufstockung der Mittel um 54,8 Millionen Franken gleich.

Gegen die Landwirtschaftslobby, so scheint es, kann im Schweizer Parlament keine Politik gemacht werden, und auch die Bevölkerung hatte die Bauernschaft zuletzt immer wieder auf ihrer Seite. Trinkwasserinitiative, Pestizidinitiative, Massentierhaltungsinitiative – sämtliche grossen Agrarvorlagen der letzten Zeit wurden im Sinne der Landwirtschaftsbranche entschieden. Selbst dem Wolf geht es nach jahrelanger Debatte nun an den Kragen, nicht zuletzt auf Betreiben des Bauernsohns Albert Rösti, der seit diesem Jahr im Bundesrat sitzt (siehe Artikel auf Seite 2).

Seit Anfang Dezember steht fest: Es wird eine weitere Volksabstimmung zu einem Agrarthema geben. Die Biodiversitätsinitiative will Bund und Kantone dazu verpflichten, die «nötigen Flächen» zur Stärkung der Biodiversität zu sichern. Wie das gehen soll, ist nicht genau definiert. Klar ist aber, dass die Bauern im Fall einer Annahme mit neuen Einschränkungen und Vorgaben rechnen müssten.

Insbesondere der Nationalrat setzte daraufhin alle Hebel in Bewegung, um einen abgeschwächten indirekten Gegenvorschlag zu präsentieren, der die Anliegen der Bauern berücksichtigt. In der Version, die zuletzt zur Debatte stand, ging es nur noch darum, die ökologische Qualität der bestehenden Biodiversitätsflächen zu verbessern und sie sinnvoll zu vernetzen. Die Bauern hätten dabei nicht auf Land verzichten müssen. Stattdessen sollte nun der Siedlungsraum stärker in die Pflicht genommen werden. Der Gegenvorschlag schien eine vertretbare Sache zu sein; selbst Bundesrat Albert Rösti warb am Ende fast schon für diese Alternative.

Wäre sie beschlossen worden, hätten die Initianten ihre Vorlage zurückgezogen. Doch der Ständerat versenkte den Kompromiss – wohl auch auf Druck der Landwirtschaftslobby. SBV-Präsident und Nationalrat Markus Ritter hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass er nichts von dem Gegenvorschlag hält – unter anderem, weil dessen Umsetzung 96 Millionen Franken gekostet hätte. Der Bund müsse schliesslich sparen, so Ritter.

Nun wird die Biodiversitätsinitiative also ohne Gegenvorschlag an die Urne kommen. Für Markus Ritter ist es eine weitere Abwehrschlacht: «Stehen wir mutig und geschlossen zusammen, wie es bereits unsere alten Eidgenossen getan haben», hat er den Delegierten an der Versammlung des SBV kürzlich zugerufen.

Doch diesmal könnte es schwierig werden, die Schlacht zu gewinnen. Bei den Umweltverbänden ist die Verärgerung über den abgelehnten Gegenvorschlag gross. Pro Natura und Co. werden eine umso engagiertere Abstimmungskampagne führen und können dabei mit der Unterstützung weiterer Organisationen rechnen. Auch in der Bevölkerung geniesst das Anliegen einen gewissen Rückhalt. Die Schweizer Landwirtschaft wird vom Steuerzahler mit vielen Milliarden Franken unterstützt, so die Wahrnehmung vieler Bürger. Im Gegenzug könnten sich die Bauern also ruhig ein bisschen mehr für die Biodiversität engagieren.

Die Landwirtschaftsvertreter werden es umgekehrt schwer haben, gute Argumente gegen die Förderung der Biodiversität zu finden. Die Artenvielfalt schwindet dramatisch, gerade bei den für den Agrarsektor so wichtigen Insekten. Warum also verweigert sich die Branche, wird sich mancher Bürger fragen. Müsste eine intakte Natur nicht im ureigenen Interesse der Landwirtschaft sein? Im Gegensatz zu den früheren Agrarinitiativen ist die Biodiversitätsvorlage für die Bauern auch nicht existenzbedrohend – und überdies hätte es ja eine weniger weit gehende Alternative gegeben.

Doch Markus Ritter und sein Verband sind offenbar überzeugt, auch diese Abstimmung zur Ablehnung führen zu können. Wie realistisch dieses Selbstbewusstsein ist, wird das kommende Jahr zeigen.


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