Als Einheimischer noch geduldet
08.08.2025 KolumneDie beiden Sätze «Nume nid gschprängt!» und «Mir sötte de langsam afa pressiere» sind für mich zwei typisch bernische Redensarten. Sie drücken einerseits die weitherum behäbige Art der Bernerinnen und Berner aus und widerspiegeln einen guten Teil ...
Die beiden Sätze «Nume nid gschprängt!» und «Mir sötte de langsam afa pressiere» sind für mich zwei typisch bernische Redensarten. Sie drücken einerseits die weitherum behäbige Art der Bernerinnen und Berner aus und widerspiegeln einen guten Teil unserer Lebensphilosophie. Von Aussenstehenden wird sie meist milde belächelt, gelegentlich sogar als hinterwäldlerisch betrachtet. Dabei schreitet der Berner Bär immer stetig vorwärts und verrennt sich kaum, was bei vermeintlichen Schnelldenkern mit überhasteten Entschlüssen oft zum Gegenteil führt, also zwei Schritte eilig voraus, um dann reuig einen Schritt zurück machen zu müssen. Am Schluss sind wir beide meist gleich weit gekommen. Diese bernische Eigenart kommt mir nun in meiner Wahlheimat Luzern gelegen. Die touristischen Heerscharen aus aller Welt, welche die «Leuchtenstadt» am unteren Ende des Vierwaldstättersees und angesichts von Rigi, den Zentralalpen und dem Pilatus mittlerweile das ganze Jahr bevölkern, zwingen die Einheimischen zu einem neuen Rhythmus. Die Altstadt, gebaut zwischen der Kette der wehrhaften Museggtürme und dem See, ist dicht bebaut. Die engen Gassen zwischen Mühlenplatz und Löwenplatz sind glücklicherweise schon lange autofrei, sieht man von gelegentlichen Lieferwagen ab. Die historische Spreyer- und Kapellbrücke mit ihren ikonenhaften Dekorationen und auch die unprätentiöse Reussbrücke sowie der Rathaussteg verbinden Alt- und Neustadt
– allerdings mit dem Nachteil, dass sie ausgezeichnete Standorte für Panoramafotos und Selfies sind. Der Stau mit den Einheimischen, welche die Flussseite wechseln, um beispielsweise am
Dienstag und Samstag am rechten Ufer beim Markt einzukaufen, ist dabei programmiert. Da gibt es gelegentlich kein Vorbeikommen, ausser man drängelt sich unhöflich vor und gerät dabei unweigerlich in den Sucher eines oder mehrerer Objektive von Kameras, Smartphones und Tablets. Das Gedränge in der Weggisgasse und der anschliessenden Hertensteinstrasse ist kaum weniger dicht:
Da lief mir kürzlich ein kleines Mädchen aus dem Ausland, auf das Handy starrend, «volle Pulle» in die Knie. Was macht da der Berner? Er versucht dies möglichst gelassen zu nehmen – siehe oben. Allerdings ist nicht auszuschliessen, dass mir die Geduld dann doch gelegentlich ausgeht. Besonders, wenn die von der Uhrenund Schokoladenlobby unter Druck gesetzten Tourismusgewaltigen wieder eine Kampagne für noch mehr Gäste lancieren und dabei das Bedürfnis der lokalen Bevölkerung nach Lebensqualität wieder ignorieren. Wir finden kaum mehr Platz auf den Dampfschiffen und in den Zügen der Zentralbahn Richtung Engelberg und Brünig. Zwischen Zürich Flughafen und Luzern verbarrikadieren Überseekoffer – manchmal zwei pro Person – in den Waggonabteilen Sitzplätze, weil es nicht genügend grosse Abstellflächen für die überdimensionierten Gepäckstücke hat. Das ist die Kehrseite der Medaille vom einst überbordenden Billig-Gruppentourismus im Reisecar zu den nun in immer grösserer Zahl anreisenden Individualtouristen im öffentlichen Verkehr. Eigentlich ist es ein Trend, den wir uns gewünscht, aber dessen Konsequenzen zu wenig bedacht haben. Die eine Lösung fürs Malaise aus Sicht der Einheimischen gibt es wahrscheinlich nicht. Üben und pflegen wir also die typisch bernischen Tugenden weiter.
KURT METZ
MAIL@KURTMETZ.CH