NACHTIGALL MIT ZAHNSCHMERZEN

Sind Sie Musikliebhaber oder spielen Sie sogar selbst ein Instrument? Dann kennen Sie sicher diese italienischen Wörter, die sich häufig in Noten finden: piano (leise), con brio (lebhaft) oder fortissimo (sehr laut). Mit derlei musikalischen Regieanweisungen teilt ein Autor mit, wie sein Werk an dieser Stelle tönen soll.
Der französische Komponist Erik Satie hat solche Angaben auf die Spitze getrieben. Es müsse klingen «wie eine Nachtigall mit Zahnschmerzen», lautet eine seiner Anweisungen. An anderer Stelle heisst es: «Vergraben Sie den Ton in Ihrer Magengrube». Oder schlicht: «Öffnen Sie den Kopf!»
Ich habe mir kurz überlegt, dass man solche Hinweise auch für Zeitungstexte nutzen könnte. Beim Lesen «den Kopf zu öffnen» finde ich zum Beispiel eine durchaus sinnvolle Anregung. «Vergraben Sie diesen Vorstoss in Ihrer Magengrube» wäre für viele Ideen aus der Politik auch kein schlechter Ratschlag. Und die Anmerkung: «Mit Humor zu lesen» könnte manches Missverständnis vermeiden.
Die Sache ist: Vermutlich hat Satie seine schrägen Formulierungen gar nicht ernst gemeint. Alles Komplizierte, Verschnörkelte war ihm fremd. Er mochte es klar und einfach, auch in seinen Werken. Ein Stück, das man erst langwierig erklären muss, hätte er als schlecht empfunden. Er fand sogar, ein Komponist habe nicht das Recht, «die Zeit seiner Zuhörer unnötig in Anspruch zu nehmen».
Klar und einfach, nicht unnötig lang und möglichst unkompliziert, das alles sind Eigenschaften, die man sich auch ausserhalb der Musik wünscht: in Bedienungsanleitungen, in der Gesetzgebung – oder eben für Zeitungsartikel. Sie sollten so geschrieben sein, dass Leserinnen und Leser sie auf Anhieb nachvollziehen können. Wenn es dazu lange Erklärungen bräuchte, gar Regieanweisungen am Rand, dann wäre etwas falsch gelaufen.
Natürlich könnte ich das alles noch viel ausführlicher erläutern. Aber ich will Ihre Zeit nicht länger beanspruchen als nötig, und deswegen setze ich hier den Schlusspunkt (obwohl sogar noch ein bisschen Platz wäre).

MARK POLLMEIER

M.POLLMEIER@FRUTIGLAENDER.CH

SCHLUSSPUNKT – Nachtigall mit Zahnschmerzen

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