Erstaunlich, wie schnell die Politik reagieren kann

Das Regime des syrischen Diktators Bashar al-Assad ist am Ende rasend schnell zerbrochen: Innert Tagen haben islamistische Milizen die Kontrolle über weite Teile des Landes übernommen, Assads Armee hat praktisch keinen Widerstand geleistet.
Die Machtübernahme kam für fast alle Beobachter ziemlich überraschend, weshalb vertiefte Analysen der neuen Situation immer noch Mangelware sind. Zu viele verschiedene Player sind in Syrien aktiv, zu unklar ist, wie die neuen Machthaber sich verhalten werden, und keiner weiss, welche Asse die Russen oder Türken noch im Ärmel haben.
Zwar haben in Europa viele Syrer spontan ihrer Freude Ausdruck verliehen. Und das ist legitim: Wenn ein brutaler Unterdrücker wie Assad stürzt, ist das immer eine gute Nachricht. Allerdings ist die Nachricht nicht so positiv, wie man glauben könnte. Der neue starke Mann in Syrien war vor wenigen Jahren noch ein IS-Kadermann. Was derzeit mit der kurdischen Minderheit und ihren Kämpfern im Osten geschieht, kann einen sogar beunruhigen. Vor diesem Hintergrund hat es mich schockiert, wie schnell die Politik in der Schweiz, aber auch in Deutschland und Österreich reagiert hat. Und zwar mit der breit abgestützten Forderung, jetzt im Asylwesen Gesuche von Syrerinnen und Syrern sofort zu sistieren und teilweise schon die Rückführung dieser Menschen wieder aufzunehmen. Unbürokratisch und schnell soll es nun gehen, tönt es von allen Seiten. Wobei man einschränken muss, dass sich mit solchen Forderungen vor allem Politiker in Österreich hervortun. Trotzdem: Nur weil ein Diktator weg ist, ist ein Land doch noch lange nicht sicher, und ich finde es unglaublich zynisch, auf eine solche Nachricht mit Rückführungsforderungen zu reagieren.

Zynisch finde ich den Punkt allerdings vor allem wegen der Ukraine. Auch dort hat sich mit dem Kriegsbeginn im Februar 2022 etwas ereignet, das unser Welt gefüge auf den Kopf stellt. Trotzdem hatten sich die politischen Mehrheiten (auch und vor allem in der Schweiz) auf die Position geeinigt, dass man nicht übereilt reagieren solle; es gelte schliesslich, Gesetze und Regeln einzuhalten.
Die Unsicherheiten in der damaligen Ukraine und im heutigen Syrien sind durchaus vergleichbar. Noch lässt sich nicht absehen, welche Folgen das Ereignis haben wird. Der einzige Unterschied: Bei der Ukraine hätte die Schweiz mit dem schnellen Handeln möglicherweise einen Preis bezahlen müssen. Bei Syrien kann sie einen «Gewinn» realisieren. Das ist eine Art von Gier, die mir so gar nicht in die Weihnachtszeit zu passen scheint …

SEBASTIAN DÜRST

SEBASTIAN.DUERST@BLUEWIN.CH

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