SELBST SCHULD

«... in der heutigen schnelllebigen Zeit» – sicher haben Sie diese Formulierung schon einmal gelesen oder sie selbst gebraucht. Mir jedenfalls begegnet sie ständig, und meist folgt dann irgendetwas mit Stress und mentaler Überforderung. Aber ist unsere Zeit wirklich besonders schnelllebig? Haben wir tatsächlich mehr Stress als die Generationen vor uns?
Auch in früheren Jahrhunderten hatten es die Leute ja nicht nur gemütlich. Sie waren abhängig von Wetter und Ernteglück, waren von Kriegen und Seuchen bedroht, hatten keine soziale Absicherung und keine Gesundheitsversorgung. Wer Pech hatte, wurde zu allem Überfluss auch noch von einem unnachgiebigen Despoten drangsaliert. Damit verglichen haben wir stabile, geradezu paradiesische Zustände! Und doch wird allenthalben über den Stress und das Tempo des Lebens geklagt, darüber, dass man ja kaum noch hinterherkomme. Woran liegt das?
Vermutlich war das Verhältnis von Stress- und Ruhephasen früher ein anderes. Wenn es dunkel wurde, legte man die Arbeit nieder – Strom gab es ja nicht. Und weil die Unterhaltungsmöglichkeiten begrenzt waren, ging man eben früh zu Bett. Das war langweilig, aber gesund (und gut für die Geburtenrate). Auch Feiertage wurden als Auszeiten ernst genommen. Wenn bei den alten Römern ein Festtag im Kalender stand, dann ruhte der Alltag. Selbst im Militär wäre es keinem Offizier eingefallen, an einem solchen Tag das Exerzieren zu Üben. Feiertag war Feiertag, für alle!
Heute sind solche «Langsamzeiten» selten geworden. Dank Elektrizität ist vieles rund um die Uhr verfügbar – Information, Unterhaltung, selbst die Arbeit. Die kann man dank mobiler Geräte sogar mitnehmen, zur Not auf die andere Seite des Globus.
Es ist eigentlich absurd. Lange waren die Menschen der Natur ausgeliefert oder litten unter politischer Willkür. Diese äusseren Stressfaktoren haben wir – jedenfalls in Europa – weitgehend ausgeschaltet. Stattdessen machen wir uns den Stress jetzt selbst, mit Technik, die wir selbst erfunden und freiwillig angeschafft haben.
Vielleicht sind die Zeiten nicht schneller geworden, sondern einfach nur dümmer.

MARK POLLMEIER

M.POLLMEIER@FRUTIGLAENDER.CH

SCHLUSSPUNKT - Selbst schuld

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