Work-Life-Balance

«Niemand mag seinen Job.»
Ich schaute etwas irritiert von meinem Teller auf und über den Tisch hinweg zu dem Typen, den ich gerade mal seit zwei Stunden kannte. Dann drehte ich mich zu einer meiner besten Freundinnen um, die neben mir sass: «Ich mag meinen Job», sagte ich. Sie musste etwas schmunzeln und sagte dann: «Du machst auch das, was du immer machen wolltest.»
Das stimmt. Und auch wieder nicht. Ich wollte mal Autorin werden. Ich wollte mal Tierärztin werden (ja, wie viele Sechsjährige). Ich wollte mal in einem Verlag arbeiten. (Ganz kurz überlegte ich mir, Ärztin zu werden – wir sind alle froh, dass das nicht passiert ist.) Dass ich schlussendlich in der Sportwissenschaft landen würde, mit der Möglichkeit, zu doktorieren, stand nicht in meiner Lebensplanung, bis das Angebot da war. Forschung, ja, das war schon länger ein Wunsch. Und es ist für mich dementsprechend auch nicht selbstverständlich, welchen Job ich nun machen darf. Mein Tischgegenüber fragte mich also nach meiner Arbeit, die ich kurz erklärte. Daraufhin kam die spöttische Antwort: «Ah, du bist in der Forschung. Ja, das ist schon cool, aber du verdienst nichts und lebst mit Ende 20 immer noch in einer blöden Studenten-WG.» Ich tauschte einen etwas genervten Blick mit meiner WG-Genossin aus, die ebenfalls am Tisch sass (was besagtes Tischgegenüber übrigens noch nicht begriffen hatte), und konnte mich nicht ganz entscheiden, ob es sich lohnen würde, das Gespräch weiterzuführen. Ich konnte es aber dann nicht dabei belassen und erklärte ihm, dass ich nur für mich selbst verantwortlich bin und auch ganz gut für mich selbst sorgen kann.
Das Gespräch versandete danach, was wohl auch gut war. Aber seitdem fällt es mir immer wieder auf, wie Gleichaltrige eine gewisse Sprachlosigkeit an den Tag legen, wenn ich erzähle, dass mein Tag toll war – weil meine Arbeit spannend war und ich vorangekommen bin. Aber woran liegt das?
«Work-Life-Balance» ist das Stichwort meiner Generation. Und ich rechne es ihr hoch an, dass sie beschlossen hat, dass Arbeiten nicht alles ist, was im Leben zählt. Nach vielen Jahrzehnten, in denen es doch sehr normal war, entweder Vollzeit zu arbeiten oder sich Vollzeit um Kinder zu kümmern, soll nun endlich alles etwas ausgeglichener sein. Und damit rede ich jetzt nicht einmal von einer sinnvollen Aufteilung, was Kindererziehung anbelangt; sondern einfach davon, dass Arbeiten zwar nötig ist, aber eben auch das Sozialleben Relevanz hat. Doch frage ich mich nun, ob wir uns damit schon wieder ins andere Extrem bewegen. Ist jetzt Arbeiten nur noch dafür da, dass man damit Geld verdienen kann, um sich die schicke Wohnung und die Freizeit zu finanzieren? Die Ferien in Ägypten und auf Mallorca, das Wochenende in der Skihütte, das Konzert am Freitagabend und den Sonntagnachmittag im Tennisclub? Ist das der Teil des Lebens, in dem man lebt – und der Rest ist der Job, den sowieso niemand mag? Vielleicht liegt das Problem in der Gegenüberstellung von «Work» und «Life», und dass manche darin einen Gegensatz sehen – obwohl es ursprünglich nur um die Einsicht ging, dass man an seinem freien Tag nicht jedes Mal für die fehlenden Arbeitskollegen einspringen muss. Vielleicht sollten wir also das Konzept mal wieder etwas überdenken – oder vielleicht bin ich einfach nur an einen frustrierten Typen geraten, der gerade eine schlechte Woche hinter sich hatte, und dem ich mit meiner Zufriedenheit etwas zu sehr auf den Geist ging.

XENIA SCHMIDLI

SCHMIDLIX@HISPEED.CH

THE YOUNG VIEW - Work-Life-Balance

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