Koalition versus Kollegialität

Rund um die Schweiz gibt es im Moment spannende Wahlen zu beobachten. Besonders interessant finde ich die nationalen Wahlen in Österreich und die regionalen Wahlen in Ostdeutschland. Dabei ist das Offensichtliche nicht einmal das Interessanteste: Dass sich rechtspopulistische (respektive rechtsextreme) Parteien viele Stimmen sichern konnten, war ja vorauszusehen. Es geht eher um die Bewertung dieser Entwicklung. Bei den einen weckt sie Ängste, bei den anderen Freude, und wieder anderen ist es egal, wie sich die Politik entwickelt, weil sie damit schon lange nichts mehr am Hut haben. Ausser bei der NZZ dominiert in der Schweiz die Angst vor den Parteien, die den Rechtsstaat nur zum Teil respektieren und die immer wieder ganz bewusst Nazi-Vergleiche und -Parolen nutzen.

Persönlich glaube ich, dass die Situation nicht so gefährlich ist, wie man meinen könnte. Es ist immer noch so, dass eine grosse Mehrheit auch in Sachsen und Thüringen keine Neonazis wählt. Darüber könnte man, zugegebenermassen, noch viel mehr diskutieren.

In dieser Kolumne soll es aber um einen anderen Aspekt gehen. Die genannten Wahlen sind sowohl in den deutschen Bundesländern als auch in Österreich nur der Auftakt zur eigentlichen Diskussion: Während die Parteien im Wahlkampf der Wählerschaft die tollsten Wahlversprechen machen können, wird die tatsächliche Politik ja erst später bestimmt. Nach den Wahlen müssen die Parteien nämlich irgendeinen Weg finden, Mehrheiten fürs Parlament zu finden. Und die erhält man, indem man mindestens 51 Prozent der Sitze (mehr ist dabei immer besser) kontrolliert. Oder anders formuliert: Parteien müssen sich zu Koalitionen zusammenschliessen, um regieren zu können. Und weil die allermeisten Parteien (noch) ausschliessen, mit den genannten Rechtspopulisten eine Regierung zu bilden, kann man im Moment abenteuerliche Rechenspiele beobachten. Es geht zumindest für Aussenstehende vor allem darum, eine Regierungsbeteiligung von AfD oder FPÖ zu verhindern – gemeinsame Inhalte der Parteien stehen nicht im Vordergrund.

Aus meiner Sicht ist vorhersehbar, was mit Regierungen passiert, die sich wegen der unterschiedlichen Inhalte auf einen Koalitionsvertrag einigen müssen: Es kommt eben nicht zu sinnvollen Kompromissen, sondern zu einer Schwerfälligkeit der Politik, die am Ende zu noch mehr Nicht- und Extremwählern führt. Bestes Beispiel für diesen Effekt ist die deutsche Bundesregierung, in der CDU/ CSU, Grüne und FDP vertreten sind.

Auch wenn die politischen Prozesse in Deutschland und Österreich nicht direkt mit der Schweiz vergleichbar sind, bin ich derzeit froh um unsere etwas merkwürdige Institution des Bundesrats. Dieser soll kollegial agieren und seine Zusammensetzung ist um einiges stabiler konstituiert als in den Nachbarländern. Und ja, wenn wir in die Nachbarländer schauen, gibt es bei uns definitiv immer noch einen Willen, konstruktive Kompromisse zu schmieden. Das ist gerade in diesen Zeiten eine Fähigkeit, die wir viel mehr wertschätzen, fördern und verbreiten sollten.

SEBASTIAN DÜRST

SEBASTIAN.DUERST@BLUEWIN.CH

POLITIKUM - Koalition versus Kollegialität

Image Title

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Ja. Ich benötige ein Abo.

Article

Image Title