Jeder Tag ein kostbares Geschenk

Und plötzlich steht man mitten im letzten Lebensabschnitt! Zwar erhalten wir monatlich einen Lohn, ohne uns um Arbeitspläne zu kümmern, müssen nicht mehr jeden Tag zum Job hasten, uns von Mitarbeitern oder sogar vom Chef anpöbeln lassen oder unfreundliche Kunden bedienen. Aber es fehlen auch anerkennende Worte von Vorgesetzten oder das Diskutieren, Lachen, Streiten oder einfach Austauschen mit Kollegen in der Mittagsrunde. Unsere Leitplanken im Alltag sind verschwunden, eine Antriebsfeder fehlt. Wie oft haben wir morgens beim Rasseln des Weckers noch im Halbschlaf davon geträumt, einfach im Bett liegenzubleiben, aufzustehen, wenn es uns passt, gemütlich zu frühstücken und dann vielleicht noch etwas zu unternehmen – aber alles ohne Druck, weit weg von der Arbeit! Und plötzlich ist genau das der neue Alltag geworden.

Durch meine jahrelange, selbstständige Arbeit im stillen Kämmerlein, die ich oft an Regentagen oder in der Nacht erledigen durfte – natürlich fristgerecht mit viel Eigenverantwortung und Selbstmotivation – bin ich sicher in einer guten Ausgangslage, um auch meinen letzten Lebensabschnitt sinnvoll zu gestalten. Zum Älterwerden gehört aber auch der körperliche Abbau, der sowohl optisch als auch physisch wahrnehmbar ist. Die Haut wird immer schlaffer und die darunterliegende Muskulatur schwindet auch mit intensivem Training immer mehr. Oft fehlt ganz einfach die Energie, um dem körperlichen Zerfall entgegenzuwirken.

Was nun? Einfach auf das nahende Ende warten oder immer wieder altersgerecht dem Leben einen Sinn geben? Es gibt kein allgemeingültiges Rezept, da jeder seine eigene Lebensgeschichte geschrieben hat. Auch wenn uns Kurse auf den dritten Lebensabschnitt vorbereiten möchten – es liegt allein in unserer Hand und unserer Gesundheit, wie wir uns darin bewegen, was wir noch anpacken möchten, wie wir frei von vielen Zwängen, hoffentlich schmerzfrei und ohne Geldsorgen, die anstehenden Klippen umschiffen.

Dem Alltag Struktur zu geben, ist sicher ein wichtiges Standbein. Dazu gehören Einkaufen für eine gesunde regelmässige Ernährung, tägliche Bewegung an der frischen Luft und die Pflege sozialer Kontakte. Vielleicht haben wir sogar noch eine Familie, in der wir Aufgaben und Erfüllung finden. Befolgen wir all das, ist schon beinahe der Tag gerettet. Und abends? Wer Angst vor der Leere hat, die sich aufzutun droht, schaltet schnell den Fernseher ein und zappt sich durch unzählige Sender, in der Hoffnung, einen Stimmungsaufheller zu finden. Aber noch viel sinnvoller wäre der Gang in die Buchhandlung oder Bibliothek, um sich ein schönes Buch zu holen. Oder wir setzen uns gemütlich in den Lehnsessel und lassen uns von schöner Musik in eine Traumwelt entführen.

Unser Leben gleicht einer Reise, auf der wir viele Erfahrungen, Erkenntnisse und Veränderungen erleben. Dadurch ändert sich unser Blickwinkel. Wir dürfen daraus Weisheit und Gelassenheit schöpfen und erkennen, dass das Leben in den kleinen, glücklichen Momenten liegt.

YVONNE SCHMOKER

YVONNE.SCHMOKER@GMAIL.COM

KOLUMNE – BAUCHGEFÜHLE

Image Title

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Ja. Ich benötige ein Abo.

Article

Image Title