PENDLERFREUDEN

Ich lebe in vollen Zügen – aber ohne zu geniessen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht platz suchend durch den «Lötschberger» streife. Die 2. Klasse ist fast immer überfüllt. Als die Ferien begannen, war ich noch guter Dinge. Ein paar Pendler weniger, dachte ich. Keine Schulklassen mehr, die am Wandertag (irgendwie ist immer Wandertag!) ganze Abteile reservieren. In den Ferien wird es sicher leerer ... Weit gefehlt! Die Pendler und Schülergruppen wurden einfach ersetzt durch Wanderer und Feriengäste. Statt lärmender Kinder sind nun schnatternde und dauerfilmende Touristen unterwegs. Und Freizeitsportler jeden A lters, die morgens im Zug unbedingt als Erstes ihr Frühstück knuspern müssen. Oder Chips. (Wer, bitteschön, isst morgens um 7 Uhr Chips?). Abends ziehen dieselben Leute dann ihre dicken Wanderschuhe aus, um die überhitzten Füsse zu lüften – natürlich mit hochgelegten Beinen. Ich bin schon so weit, dass ich mir freiwillig schlechtes Wetter wünsche, weil dann weniger Leute unterwegs sind.
Warum aber ist der «Lötschberger» immer so überfüllt? Es kommt wohl drauf an, wen man fragt. Die BLS würde vermutlich antworten, dass «Roll material» halt teuer ist. Für die ein, zwei stark frequentierten Verbindungen am Tag lohne es sich nicht, mit längeren Zügen zu fahren. Aus Sicht der SVP sind sicher die Ausländer schuld am Dichtestress im ÖV. («Es fahren die Falschen und davon zu viele!») Rot-Grün dagegen schiebt die Verantwortung den Bürgerlichen zu. Würde Keller-Sutter nicht die Bahn kaputtsparen und Rösti nicht die Stras se bevorzugen, könnten in Schweizer Zügen paradiesische Zustände herrschen! Der FDP ist einfach nur wichtig, dass die Mobilität nicht noch teurer wird – für den Staat, versteht sich. All das hilft mir erst einmal nicht weiter.
Vielleicht ist das Problem vor allem ein psychologisches. Im August werde ich nach Norddeutschland fahren – mit der Deutschen Bahn. Ich weiss nicht, wie diese Fahrt wird beziehungsweise ob sie überhaupt stattfindet. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass ich meinen BLS-Pendlerzug danach gar nicht mehr so schlimm finde ...

BIANCA HÜSING

B.HUESING@FRUTIGLAENDER.CH

SCHLUSSPUNKT - Pendlerfreuden

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