Zwirbeli

Oft bleiben Leute vor unserm Häuschen stehen und rücken endlich mit der Frage raus:«Weshalb heisst Euer Chalet ZWIRBELI – was ist das?»
Ich weiss auch nicht, wie meine Familie auf diesen Hundenamen kam. Tatsächlich sind in unserm Garten sowohl Zwirbel der erste als auch seine beiden Nachfolger unter dem Rosenbusch begraben.
Hätten wir eine Kuh als Haustier gehabt, hätte das Chalet wohl «Bella» oder «Viola» geheissen. Viola liegt übrigens auf Platz elf der beliebtesten Kuhnamen in der Schweiz. Doch ein Dackel ist eben handlicher – praktisch gesehen.

Ich war zehn Jahre alt, als unser Zwirbelhund zum Thema wurde: Ich fühlte mich einsam. Ein unverstandenes Einzelkind.
Ich redete mit Puppen und schmuste mit Teddybären.

«Das Kind braucht einen Seelenklempner …», unkte die Oma. Sie war die Pein ihrer Schwiegertochter.
Diese schoss einen Blick mit Giftschein Klasse A: «Der Kleine braucht kein P sycho-Sofa. Er braucht einen Hund zum Liebhaben!»

Also kamen sie eines Tages mit einem Körbchen an. Und heraus sprang ein kleines, wuseliges Wesen.
«Der Hund tropft», sagte ich altklug.
«Meine Mutter warf wieder den Giftscheinblick – diesmal zu ihrem Ehemann: «Ich habe dir gleich gesagt, der P u d e l wäre stubenrein gewesen. Ich jedenfalls bin keine Frau, die Gassi geht. Also – hier ist die Leine. Los!»

Es wurde somit eine Vater-Hund-Beziehung. Wenn Wagenführer Hammel von seinen Spättouren auf dem Sechsertram heimkam, bellte der Dackel in ekstatischer Freude das ganze Haus wach. Er jagte vom Sofa auf den Ohrensessel und zurück. 200 Mal.
«Ja, wo isser denn?», feuerte ihn Vater an, während bei den Obermüllers unter uns die Bilder aus den Nägeln hüpften.

Klar, dass unser Chalet nach dem Hund benannt wurde: Zwirbeli!

Vater liess zur Eröffnung die Buchstaben in Eisen schmieden. Als Zugabe bekam er vom Schmied einen Abscharer für die klumpigen Wanderschuhe bei Hochschnee oder Schotterdreck. Das Schareisen hatte die Form eines Dackels. Noch heute schaben die Besucher den Dreck dieser Welt auf dem Rücken unseres Dackels weg …

Ich hätte dem Haus gerne einen passenderen Namen gegeben: «DORNRÖS-CHEN» war mein Favorit.
«Ich sag’s ja – etwas stimmt nicht mit ihm!», flüsterte die Oma.

Zwirbel bereitete meinem Vater all die Freuden, die ihm sein Sohn nicht bringen konnte. Der Dackel sprang mit ihm durch den Wald. Er flitzte auf der Skipiste dem Alten voran. Und als der Hund dann in die Pubertät kam und mitunter drei, vier Tage nicht mehr nach Haus zurückkehrte, weil Annekäthis Sennenhündin oben auf der Alp «heiss» war, jubelte der gute Vater: «Er kommt total nach mir!»
Später hat uns Annekäthi drei wunderbare Bastardhunde andrehen wollen: «Die sind von eurem Zwirbel!»
Mutter, die ähnliche Probleme von ihrem Alten zu händeln gewohnt war, bediente sich wieder der Giftklasse: «Ach ja? Und wie hätte unser Zwergdackel dieses Sennenmonstrum besteigen sollen ?»
Mein Vater kraulte seinen Liebling hinter den Ohren: «Uns ist kein Hindernis zu gross, gell Zwirbeli …»

Es war an einem dieser Sonnentage, als der riesige Bus nach Hahnenmoos den kleinen Hund überfuhr. Der Dackel war dem Auto vorangesprungen. Und konnte nicht mehr ausweichen.

Mein Vater ging vor ihm auf die Knie und heulte. Es war einer der seltenen Momente, in denen ich Vater weinen sah.
Mutter warf all ihre Giftscheine weg und nahm ihren Mann in die Arme: «Wir begraben ihn im Garten, Hans ..., bei den Rosen.»

Drei Zwirbel-Hunde liegen nun dort. Sie haben die Familie ein Leben lang begleitet. Heute aber stehe ich alleine vor dem R osenstock – alle weggestorben. Die ganze Sippe liegt in Asche unter irgendwelchen Büschen oder Grabsteinen.
Ich fühle mich einsam – wie damals als Kind. Und noch immer fühle ich mich unverstanden.

Wenn jemand aber stehen bleibt und fragt: «Weshalb heisst das Hüsli ZWIR-BELI?» Dann ziehe ich den Giftschein. Und sage ziemlich kalt: «Es heisst einfach so …»

- MINU

MINU@MINUBASEL.CH

UNTERLÄNDER IM OBERLAND - Zwirbeli

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