Auf der Suche nach Zufriedenheit

Fühlen Sie sich wohl in Ihrer Wohnung und deren Umgebung, oder dürfen Sie sogar ein Haus ihr Eigen nennen? Wie lange halten Sie es zu Hause aus, ohne Kontakt, ohne elektronische Apparate, ohne einen Schritt vor die Tür zu setzen? Genügt Ihnen der Radius, den Sie zu Fuss erkunden können? Der Blick in die Natur und nachts in ein sternenübersätes Universum? Einfach zufrieden Heimat genies sen und bei sich sein?

In meinen vier Wänden zu leben, fällt mir leicht, einfach etwas nüschelen, kochen, essen, putzen, liegen, stehen, sitzen, aus dem Fenster schauen – aber genau hier befällt mich Traurigkeit. Früher wohnte ich im Aris, einem kleinen Bauernweiler unter dem Gehrihorn. Mein Blick fiel morgens vom Bett aus auf die Niesenkette. Sass ich zum Frühstück in der alten gemütlichen Küche, weideten fünfzig Meter von mir entfernt die Gemsen und die Rehe, der Gemüse- und Blumengarten von Ursula erblühte direkt vor meinem Fenster, ebenso die Fruchtbäume, die im Herbst so feine Äpfel und Birnen trugen und nach der Ernte sich bunt verfärbten. Viele kleine Scheunen schmiegten sich in die stotzigen Seiten, die früher, als es das Gesetz noch erlaubte, den Kühen bis weit in den Winter hinein eine gemütliche Bleibe boten, solange der Heuvorrat reichte. All das vermisse ich in meiner neuen modernen Wohnung im zweiten Stockwerk in Unterseen. Zwar schaue ich direkt auf Eiger, Mönch und Jungfrau, hinter dem glitzernden Thunersee erblicke ich die Niesenkette. Auf den umliegenden Wiesen weiden grosse Kuhherden, mit riesigen Traktoren mähen die Bauern, silieren das Gras und führen mit riesigen Maschinen die Gülle aus. Die Autostrasse unter dem Rugen hallt ständig den Verkehrslärm zu mir, sodass ich das Rauschen des nahen Lombachs nur erahnen kann. Und erst die vielen Touristen, die mir kaum mehr Raum lassen in meiner Heimat, da so gewandte Tourismusfachleute das individuelle Reisen immer mehr fördern. Heute muss ich die Berge mit Tausenden von Reiselustigen teilen, da all unsere Geheimtipps in der Natur über die Werbung oder Social Media verbreitet werden. Wir verlieren in unserer Heimat immer mehr Rückzugsorte, an denen wir Frieden, Ruhe und Erholung finden.

Da stelle ich die Frage in den Raum: Wie weit kann und will sich der Mensch dem heutigen Lärm anpassen, der Dichte unseres Wohnraums, dem Stress am Arbeitsplatz, der Künstlichen Intelligenz, der endlosen Mobilität, der riesigen Auswahl an Gütern – ohne dabei krank zu werden, sowohl psychisch als auch physisch? Tendenziell wird alles grösser, hektischer, mobiler, schneller, lärmiger, fordernder, rationeller – die Wirtschaft will weiter wachsen auf Kosten unseres Wohlbefindens!

Bereits vor mehr als Hundert Jahren hat Mahatma Gandhi (1869 – 1948) mit folgendem Zitat die Menschheit zum Reflektieren aufgefordert:
«Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnis, aber nicht für jedermanns Gier.»

YVONNE SCHMOKER

YVONNE.SCHMOKER@GMAIL.COM

BAUCHGEFÜHLE - Auf der Suche nach Zufriedenheit

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