VON BIENEN UND BEITRITTSPERSPEKTIVEN

Nicht schon wieder ein Text über Fussball! Sorry, aber ich kann nicht anders. Die EM frisst fast meine ganze Aufmerksamkeit, und mehr noch als das Geschehen auf dem Rasen packen mich die Geschichten am Rande. Haben Sie zum Beispiel vom Feuerwehreinsatz letzten Dienstag im Stuttgarter Stadion gehört? Ein Bienenschwarm hatte sich in einer elektrischen Werbetafel eingenistet und musste umgesiedelt werden. Oder wussten Sie, dass der deutsche Stürmer Niclas Füllkrug einem Fan die Hand gebrochen hat? Sein Schuss beim Aufwärmen fürs Auftaktspiel hatte das Tor verfehlt und einen Zuschauer getroffen – an Durchschlagskraft fehlt es ihm offensichtlich nicht. Kleiner Trost für den Fan: Füllkrug schenkte ihm ein signiertes Trikot. Schenkfreudig sind auch die Dänen: Um die Fussballlöhne von Männern und Frauen anzugleichen, verzichtet das Herrenteam auf eine Erhöhung. Das nenne ich männlich!
Anfeuern werde ich diesmal übrigens Georgien (sie wissen schon, dieser kleine Staat im Südkaukasus, in dem die Nachnamen entweder auf -adze oder -vili enden). Erstens habe ich zu dem Land eine besondere Beziehung, weil es das Ziel meiner letzten Flugreise im Jahr 2018 war und ich dort ausschliesslich auf herzliche Europafans traf. Diese proeuropäische Haltung ist zweitens der Grund dafür, dass die EM für Georgien viel mehr ist als nur ein Turnier. Seit dem Zerfall der Sowjetunion herrscht zwischen Sakartwelo, wie Georgien in der Landessprache heisst, und Russland ein Konflikt, der 2008 im fünftägigen Kaukasuskrieg gipfelte. Der Grossteil der Bevölkerung orientiert sich gen Westen und will zur EU gehören. Zehntausende feierten in der Hauptstadt Tiflis, als das Land 2023 offiziell zum Beitrittskandidaten erhoben wurde. Leider macht die aktuelle Landesregierung diese Perspektive peu à peu wieder zunichte. Offiziell bekennt sich die Partei «Georgischer Traum» zwar ebenfalls zu Europa, doch unter der Hand gilt sie als Kreml-hörig und erlässt Gesetze, die mit EU-Werten nicht kompatibel sind. Nach monatelangem, erbittertem Protest gönne ich den Georgiern ihre EM-Premiere deshalb von Herzen – auf dass sie ihre Europazugehörigkeit wenigstens auf dem Rasen zeigen können.

BIANCA HÜSING

B.HUESING@FRUTIGLAENDER.CH

SCHLUSSPUNKT

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