Erfolgreiches Scheitern

Es ist erstaunlich, wie viele Dinge ich mit meinen 16 Jahren bereits aufgegeben habe. Leichtathletik, Reiten, Saxofonspielen: All diese Dinge gehörten einst zu meinen Hobbys, denen ich regelmässig nachging. Jedes davon hatte seinen Reiz und machte mich auf je eigene Weise glücklich. Bei der Leichtathletik konnte ich meine Ausdauer auf die Probe stellen, das Reiten verband mich mit der Natur und das Saxofonspielen brachte mir die Grundkenntnisse der Musik näher. Doch im Laufe der Zeit sind all diese Tätigkeiten in den Hintergrund gerückt. Ich bevorzugte andere Beschäftigungen und fing an, mich mehr auf die Schule zu konzentrieren.
So wie neulich, als ich im Unterricht hockte und mit allergrösster Mühe probierte, die Erklärung vorne an der Tafel zu verstehen – ohne Erfolg. Nach etwa fünf Minuten angestrengten Zuhörens schweiften meine Gedanken ab (was recht riskant ist, denn wenn ich einmal den Faden verloren habe, ist es alles andere als einfach, in den nächsten 40 Minuten noch irgendetwas aufzuschnappen). Sobald ich realisierte, dass gerade genau das passiert war, seufzte ich laut auf. Zumindest brachte die Situation auch etwas Positives mit sich. Nun konnte ich mich nämlich den Rest der Lektion voll und ganz meinen wild herumbrausenden Gedankengängen widmen. In meinem Kopf fing es an zu rattern und die folgende Weisheit liess mich nicht mehr los: «You never fail until you stop trying.» Übersetzt heisst das so viel wie: «Du scheiterst nie, bis du aufhörst, es zu versuchen.»
Genau das ist es, was ich im Moment lernen möchte: neue Dinge auszuprobieren und mich meinen Ängsten zu stellen. Ganz persönlich zeigte sich das bei mir mit dem Entschluss, nach vier Jahren Pause wieder mit dem Geräteturnen anzufangen. Dem ersten Training begegnete ich mit Nervosität. Ich wusste nicht, ob ich noch in der Lage war, alle Elemente wie damals auszuführen. Ich hatte Angst, dass mir mittlerweile die Kraft fehlte, um mich an der Reckstange mit einer sogenannten Kippe hochzuziehen, oder dass mir kein gestreckter Salto-Abgang von den Ringen gelingen würde. Bald merkte ich aber, dass meine Sorgen und Bedenken hier fehl am Platz waren. Der Rhythmus der Schaukelringe lag mir noch immer im Blut und es brauchte «nur» einige Versuche, bis ich den Salto landete. Und auch wenn mein zuvor «schlimmstes Szenario» eintrat und sich in der Tat bewahrheitete, dass mir also keine Kippe mehr gelang, war das nicht weiter schlimm. Wichtig war, dass ich dranblieb und weiterübte.
Natürlich hätte ich anders reagieren können, indem ich gleich wieder nach Hause gegangen wäre, sobald eine Hürde im Weg gestanden hätte. Natürlich hätte ich den Abend auch gemütlich auf dem Sofa verbringen können, wie ich es sonst manchmal tat. Natürlich hätte ich es auch gar nicht probieren können. Aber für mich gilt hierbei die entscheidende Frage: Hätte mich das glücklicher gemacht? Nein. Ich hätte mich stundenlang gefragt, wieso ich es nicht einfach ausprobiert habe.

Ich war lange davon überzeugt, dass ich Erfolg haben will. Scheitern dagegen wollte ich nie. Doch gerade darin liegt die Knacknuss: Wahren Erfolg bekomme ich erst, wenn ich gescheitert bin. Einmal, zweimal, hundertmal. Im Grunde genommen machen Verlierer und Gewinner die gleichen Fehler – nur dass die Gewinner sich nach einem Sturz wieder aufrappeln, um sich gleich auf den nächsten gefasst zu machen. Und um dieses erfolgreiche Scheitern gleich zu trainieren, will ich in Zukunft nicht nur im Geräteturnen alles geben, sondern auch das nächste Mal im Unterricht versuchen, bei der Sache zu bleiben. (Auch wenn ich zugeben muss, dass mir meine philosophischen Überlegungen unheimlich Spass machen.)

Und wie sieht es bei Ihnen aus? Ich ermutige Sie sehr, den inneren Schweinehund zu überwinden. Holen Sie die alte Geige vom Estrich herunter, beenden Sie das verstaubte Bastelprojekt in der Werkstatt oder melden Sie sich für diesen Gleitschirmkurs an, den sie schon immer mal besuchen wollten! Bleiben wir doch mutig und geben nicht auf!

SARAH WNUK

SARAHWNUK@GMX.CH

KOLUMNE – DIE WELT UND ICH

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