Angriff der Torkelkäfer

  27.07.2021 Natur

Wer an warmen Sommer abenden draussen unterwegs ist, wird von ihnen regelrecht attackiert: den Junikäfern. Böse Absichten haben die liebestollen Krabbler nicht. Sie sind einfach ein wenig ungeschickt – und momentan ziemlich unter Zeitdruck.

MARK POLLMEIER
Vor dem letzten Wochenende meldete sich bei der Redaktion eine Leserin. Rund um den Flugplatz Reichenbach könne man am Abend kaum noch spazieren gehen. Gegen 21 Uhr seien dort Unmengen von Junikäfern in der Luft; die Insekten würden die Leute regelrecht verfolgen.

Der Reichenbacher Flugplatz ist nicht der einzige Ort, an dem die Käfer lästig werden. Schon während der EM hatte mancher Public-Viewing-Gast abends Bekanntschaft mit den Brummern gemacht. Scheinbar aggressiv schwirrten sie um die Köpfe der Fussballfans, nicht selten kam es dabei auch zu Kollisionen. Was ist los mit diesen Tieren?

Brummer aus dem Erdboden
Eigentlich nichts Besonderes. Junikäfer kommen, wie der Name schon sagt, vor allem in den warmen Sommermonaten vor. Bevor sie sich in die Luft erheben, haben sie jedoch mindestens zwei Jahre in der Erde verbracht. Als Larven (Engerlinge) ernähren sie sich dort von Wurzeln und wachsen zu stattlicher Grösse heran. Wer im Frühjahr den Garten umgräbt, hat sicher schon einmal ein solches Exemplar auf dem Spaten gehabt.
Wenn die Larven gross genug sind, verpuppen sie sich und schlüpfen bei steigenden Temperaturen als Käfer aus der Erde.

Die blaue Stunde nutzen
Ab nun beginnt die Uhr zu ticken. Die Käfer leben nur wenige Wochen. In dieser Zeit haben sie nur ein Ziel: sich zu paaren und für Nachkommen sorgen.
Damit dies gelingt, verstecken sich die «erwachsenen» Käfer tagsüber in Hecken und Bäumen, wo sie sich von Blüten und Blättern ernähren. So entgehen sie ihren Fressfeinden: tagaktiven Vögeln, Störchen und Reihern. Sobald es jedoch dämmert, verlassen die Insekten ihren Unterschlupf und beginnen zu schwärmen. Rund zwei Drittel von ihnen sind Männchen, die nun auf der Suche nach einer Partnerin sind.

Dieses Jahr stehen die Tiere besonders unter Stress. Sie sind spät dran. Weil es mitten in der Paarungssaison ausgedehnte Regenphasen gab, bleibt den Käfern nun kaum noch Zeit für Paarung und Eiablage. Auch deshalb müssen sie nun jeden warmen Abend nutzen – zwischen Dämmerung und Dunkelheit bleibt den Insekten für ihre Mission nur etwa eine Stunde.

Der Mensch als Landeplatz
Unbeholfen wirken die Tiere in der Luft. Torkelkäfer nennt man sie in manchen Gegenden – sie fliegen, als hätten sie sich vor dem Abheben Mut angetrunken. Gegen einen ihrer grössten Feinde nützt das Herumtorkeln trotzdem nichts: Fledermäuse sind ausgezeichnete Flieger und fischen sich die Käfer problemlos aus der Luft.

Auf Menschen wirkt das unberechenbare Flugbild und der brummende Flügelschlag eher abschreckend. Viele haben den Eindruck, die Käfer seien auf Krawall gebürstet – vor allem, wenn sie sich mit ihren Hakenfüssen auch noch in der Kleidung oder im Haar verfangen. Dass die Tiere Menschen als Landeplatz nutzen, ist jedoch reiner Zufall. Solange noch etwas Tageslicht vorhanden ist, orientieren sich die Sechsbeiner am Horizont. Für eine Pause oder zur Paarung steuern sie dann alles an, was sich vom Untergrund abhebt: Bäume, Sträucher – oder eben Menschen. Eine Gefahr geht von den Brummern jedoch nicht aus; sie können weder beissen noch stechen und haben es auch nicht auf frisches Blut abgesehen.

So lästig Junikäfer auch sind: Panik muss ihretwegen niemand bekommen. Wer ihnen helfen will, löst sie vorsichtig von der Kleidung oder aus den Haaren.

Eiweissreiche Leckerbissen
Ist die Paarung geglückt, haben die Männchen ihre Aufgabe erfüllt. Sie sterben kurze Zeit nach der Begattung. Die Weibchen leben noch etwas länger. Bis Ende Juli legen sie etwa 35 befruchtete Eier im Erdreich ab – was wiederum lebensbedrohlich sein kann. Auch für Igel, Eidechsen und Schlangen sind die eiweissreichen Käfer nämlich ein Leckerbissen. Nach einigen Tagen schlüpfen aus den Eiern die Larven. Erst in zwei bis vier Jahren werden sie, irgendwann im Juni, an die Oberfläche zurückkehren.


Den Junikäfer gibt es nicht

Hinter dem Namen Junikäfer verbergen sich mehrere Käferarten, die in den Sommermonaten unterwegs sind (siehe Bild unten). Am bekanntesten ist wohl der Gerippte Brachkäfer. Er ähnelt dem Maikäfer, ist aber nur etwa halb so gross wie dieser.
Wenn vom Junikäfer die Rede ist, dann ist meist der Gerippte Brachkäfer gemeint. Ein Teil seines Namens verweist auf das Aussehen: Auf den Flügeldecken befinden sich drei etwas erhöhte Längsrippen – der Käfer ist also «gerippt». Der andere Teil des Namens deutet an, wo diese Art besonders häufig anzutreffen ist: im Brachland und auf grösseren Wiesen. Dass der Gerippte Brachkäfer vor allem dort vorkommt, hängt mit seinem Lebenszyklus zusammen. Käfer ist er nämlich nur für wenige Wochen – die meiste Zeit verbringt er als Larve unter der Erde und ernährt sich dort von Wurzeln. Dicht bewurzeltes Grasland ist also ein ideales Refugium für die Engerlinge, aber auch im lockeren Boden eines Gemüsegartens fühlen sie sich wohl. Treten die Käferlarven in grosser Zahl auf, können sie beträchtlichen Schaden anrichten.

POL


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