Eine Mulde voller Erinnerungen

Mit einem lauen Gefühl in der Magengegend fuhr ich vor zwei Wochen meinem Elternhaus entgegen. Der Entscheid war gefallen, das Haus zum Verkauf ausgeschrieben und überraschend schnell wurde ein Käufer gefunden. Keiner von unserer Familie hätte gedacht, dass es so rasch geht.

Nun war es soweit, das Haus musste geräumt und für die Übergabe bereit gemacht werden. Wäre dieses Haus ein kleiner Wohnwagen gewesen, hätte es mir kein Bauchweh gemacht; aber es ging darum, ein ganzes Simmentaler Holzhaus mit Estrich und Lauben, Keller, Magazin und Gartenschopf zu räumen. Wie der Esel vor dem Berg stand ich vor diesem grossen Haus mit Umschwung und wusste, da musste ich nun durch. Obwohl es meiner Schwester und meiner Mutter wahrscheinlich ähnlich ging und keine von uns wirklich über diesen Berg sah, liessen wir es uns nicht anmerken. Gegenseitig schmissen wir uns irgendwelche Motivationsfloskeln an den Kopf und trugen möglichst motiviert dreinschauend Kisten und Möbel aus dem Haus.

Bei jedem Gegenstand stellte sich die Frage «Mulde, Brockenstube oder Stras se?» Möglichst viel stellten wir an die Strasse neben das «Gratis zum Mitnehmen»-Schild und hofften, dass irgendjemand Gefallen daran finden und es zu sich nach Hause nehmen würde. Mir ging es besser, wenn ich wusste, dass irgendein Mensch noch Freude an etwas haben würde, das mich mehr oder weniger lang begleitet hatte. Wäre die Aufgabe gewesen, ein Haus auszuräumen, zu dem wir keinerlei Beziehung haben, wäre das zwar anstrengend und genauso schweisstreibend gewesen, aber gefühlsmässig sicherlich leichter.

Ein Elternhaus ist da ein anderes Kaliber. Alles, was wir in die Finger nahmen, hatte eine Geschichte oder zumindest eine Geschichte zu erzählen. Es war mir vorher nicht bewusst, wie viele Erinnerungen tatsächlich in einem Haus stecken. Unzählige schöne Erinnerungen und alle möchte man behalten und irgendwie festzuhalten versuchen, während man die Erinnerungsstücke dazu in die Mulde wirft.

Tapfer gingen wir durch diese Entrümpelungs-, Aufräum- und Entsorgungstage und der Berg wurde tatsächlich kleiner. Ende der Woche hatten wir es geschafft. Die Mulde war ziemlich voll, vieles fand neue Besitzer und meine Mutter hatte alles, was sie in ihre neue Wohnung mitnehmen wollte, parat. Es schien uns besser zu gehen, wir hatten die To-do-Liste abgearbeitet und alles sollte in Ordnung sein. Trotz der Sachlichkeit, der Notwendigkeit und der Überzeugung, das Richtige getan zu haben, liessen sich nicht alle Emotionen in die Bananenschachteln verpacken. Ein Lebensabschnitt ging definitiv und unumstösslich zu Ende.

Alles hat seine Zeit. So habe ich mich schon oft getröstet, wenn etwas zu Ende war. Abschied nehmen hat seine Zeit, aber auch der Neubeginn hat seine Zeit.

BARBARA JOST

BAEBU.JOST@BLUEWIN.CH

KOLUMNE – HAUSGEMACHT

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